Cerphylon 4 und die Verrückten

Auf Cerphylon 4 (66821B) sah ich mich einer besonderen Situation gegenüber. Im Frühjahr hatte ein Gewächs, dessen Namen ich vergessen habe, seit Jahrhunderten das erste Mal wieder Blütezeit. Was die Cerphylonier nicht wussten, denn es war in der Geschichte vergessen gegangen, der Blütenstaub, einmal eingeatmet, entwickelte eine extrem starke halluzinogene Wirkung.

Als ich mit meinem Raumschiff dort landete, um Proviant, Sauerstoff und Wasser zu tanken, kamen mir die Leute erst alle ganz normal vor. Doch bald machte ich die Entdeckung, dass jede und jeder für sich in einer ganz eigenen Wirklichkeit lebte. So lud mich einer zu sich in seinen Palast ein, der sich jedoch schnell als kleine windschiefe Hütte entpuppte. Das Essen war roh, obwohl er fest behauptete, er befehlige ein ganzes Dutzend Köche, die es für uns zubereitet hätten. Als draussen der Schrei eines Tieres (oder etwas Ähnlichem) zu hören war, begann er zu zittern, kroch unter den Tisch und fiel schliesslich in Ohnmacht. Andere sprachen mit mir über die wunderbaren Vorzüge ihrer Kleidung, ihrer Häuser oder der Stadt, ja des Planeten insbesondere. Es sei nun wirklich klar, dass dies der beste Planet überhaupt war und ihre Stadt mit Sicherheit die schönste darauf. In einem Geschäft wurde ein grobes Jutte-ähnliches Gewebe verkauft und als das Schönste und Beste in der ganzen Galaxie angepriesen. Als ich auf einige Ballen mit einem wunderschön leuchtenden Stoff zeigte, der achtlos auf dem Boden lag, meinte die Verkäuferin bloss, das sei doch gar nichts, nur Schund. Zwei Strassen weiter war ein Geschäft, wo alles genau umgekehrt war. Kurz: Jede und jeder behauptete etwas, aber es war stets nur ihre oder seine Meinung.

Ein Mann suchte im Schmutz der Strasse nach etwas. Ich fragte, ob ich helfen könne und was er denn verloren habe. «Meine Würfel», sagte er. Ich half ihm zu suchen, fand jedoch nur sechs kleine Kugeln. «Da sind sie ja!», rief er aus und ging damit zu einem Tisch, an dem noch ein anderer Mann sass. «Jetzt werde ich gewinnen», sagte der andere, nahm die Kugeln und warf sie auf den Tisch. Doch sie rollten sofort auf die Strasse zurück und so ging das Suchen wieder los. «Habt ihr denn nicht bemerkt, dass das Kugeln sind, und nicht Würfel?», fragte ich den einen. «Du verdammter Hetzer! Das fehlte mir noch, dass du mir deine Meinung aufzwingen willst. Zeig mir doch die Beweise, du blöder Kerl!», brüllte er mich an. Meine Bemerkung, dass Würfel in der Regel nicht kugelförmig seien, sondern eckig, und dass sie gewiss nicht vom Tisch rollten, tat er als eine Beleidigung ab und wollte gar handgreiflich werden.  Ich suchte die örtliche Universität auf und dachte, dass ich dort vielleicht einige Antworten finden würde. Doch die Professoren waren alle in einen riesigen Krach verwickelt und hatten sich zu kleinen Gruppen zusammengerottet, die jeweils in ungefähr derselben Meinung über etwas waren. Doch weil sie jeweils nur einen Teil einer Behauptung teilten, wechselten sich die Zusammensetzungen der Gruppen sobald auch nur ein kleiner Aspekt neu diskutiert wurde.

Es war zum Verrücktwerden und hätte ich nicht in den Unterlagen auf den Schreibtischen gestöbert, ich hätte das mit den Blütenpollen nie herausgefunden.

Sofort ging ich zum Raumschiff zurück und bat den Computer, alles zu analysieren und dann ein Gegenmittel herzustellen. Es dauerte einige Tage, und als alles fertig war, liessen wir eine riesige Medikamentenbombe zehn Kilometer über dem Boden explodieren.

Als ich drei Tage später wieder in die Stadt kam, hatte sich überhaupt nichts geändert. Alle spinnten wie zuvor. Ich packte mir an der Universität einen Professor und sperrte mich mit ihm in ein Zimmer. «Was ist hier los, fragte ich, ich habe ein Medikament erfunden, das die Wirkung der Pflanze neutralisieren sollte.» «Ach, du warst das? Toll und besten Dank, endlich ist das Hungergefühl weg und die Farben kann ich auch wieder normal sehen.» «Farben? Es geht doch nicht um Farben, sondern darum, dass ihr komplett den Bezug zur Realität verloren habt!», rief ich. «Was fällt dir ein, so einen Stuss zu behaupten. Realität! Pah! Hau bloss ab, du Halunke, und lass uns mit deiner Besserwisserei in Ruhe! Was weisst du denn schon, bist du etwa Professor?»

Ich schloss die Türe auf und rannte zum Raumschiff, so schnell ich konnte. Wenn jeder auf dem Planeten eine eigene Wirklichkeit hatte und sich diese nur in kleinen Schnittmengen mit der anderer traf, dann war das hier ein verdammt gefährliches Plätzchen. Ich drückte dem Tankwart einen Kessel Staub in die Hand und trat ihn ins Bein, liess ihn das Schiff volltanken und machte, dass ich davonkam.

Auf dem Nachhauseflug dachte ich über den Planeten nach und musste leider, wieder einmal mehr, zum Schluss kommen, dass das zwar extrem war, aber auch nur unwesentlich verrückter als der Scheiss, der auf der Erde passierte. Ich deaktivierte daher die Informationsboje und die Nachricht: «Vorsicht, Verrückte!»

 

©SMY 2012