Es war einmal vor langer Zeit, da lebte im Meer ein unglaublich grosser Krake.
Immerzu war er am Fressen. Er frass einfach alles, und das zu jeder Zeit.
Als er am Anfang nur kleine Fische frass, da fiel das noch niemandem auf, im Gegenteil, es gab sogar solche, die ihn fütterten. Später, als er grösser wurde, frass er auch mehr, und auch grössere Fische. Dazu kam nun auch viel, was ein Krake nicht essen sollte, doch er machte einfach weiter. Fressen war zu seinem Existenzgrund geworden.
Doch bald gab es auch Mahner. «Wenn das so weitergeht», sagten die, «dann wird der Krake einmal so gross, dass wir ihn nicht mehr besiegen können. Dann wird er irgendwann einmal auch uns fressen!»
Die Mahnungen blieben ungehört, denn viele Leute profitierten vom Kraken. Sein Dung wurde von Tauchern vom Meeresgrund geholt und teuer verkauft. Man brauchte ihn als Dünger. Und manch einer warf ihm etwas hin, nur, um – von einem dankbaren und wellenhochtürmenden Krakenarmschlag auf die Wasseroberfläche – weiter und schneller zu surfen zu können, als er das ohne den Kraken je gekonnt hätte.
Als der Krake dann eines Tages anfing, Boote und später ganze Schiffe zu fressen, als er selbst Flugzeuge aus dem Himmel holte, da wurde es vielen zu bunt. Sie schickten einen los, der im Land nach einem Ritter suchen sollte, der den Krake besiegen könnte.
Nach und nach kam einer nach dem anderen. In güldenen Rüstungen und mit langen Schwertern und Lanzen kamen sie, aber der Krake frass einfach die Schiffe, auf denen die Ritter waren.
Da sass einmal am Strand auf einer kleinen Insel ein Junge. Es spielte mit seinem Hund. Er war ein gewitzter Junge, der aber auch die nicht so schöne Eigenschaft der Schadenfreude hatte. Denn statt dem Hund immer nur ein Stecken oder Knochen zum Spiel hinzuwerfen, warf er jeweils drei oder vier, was den armen Hund ganz kirre machte, weil er nicht wusste, welchem er folgen sollte.
In der Nähe des spielendenJungen sass seine Schwester und schaute dem Treiben zu. Nach einer Weile stand das Mädchen auf und ging zum Hafen zu ihrem Vater, der Fischer war.
«Vater», sagte sie, «stell dir vor, ich weiss, wie man den Kraken besiegt!»
Der Vater und seine Fischer-Freunde hörten sich an, was das Mädchen zu sagen hatte, und nickten einander dann zu.
Ein guter Plan!
Es dauerte mehr als einen Monat, bis die Fischer des Dorfes auf allen Inseln des Meeres genügend andere überzeugt hatten, bei dem Vorhaben mitzumachen, und wenn nicht schon die Sturmsaison vor der Tür gestanden hätte, dann wäre die Suche sicher noch weitergegangen.
Es war an einem bedeckten Morgen, die Dämmerung hatte erst angefangen, da strömten von allen Inseln des Meeres Abertausende kleiner und grosser Boote, ja ganze Flotillen, zu dem Ort, an dem der Krake sein Unwesen trieb. Und dann begannen sie alle auf den Kraken zuzufahren. Zu Beginn waren es die Alten, die bereit waren, sich zu opfern, und der Krake verspeiste hundert auf einen Streich. Doch er wurde sehr wütend, da er nicht einmal einen Bruchteil der Boote erwischte. Er hatte ja nur acht Krakenarme, wohin sich also wenden? Sollte er dort drüben die kleinen Kähne fressen oder dort den grossen Kutter? Immer wilder und unkontrollierter schlug er nun mit den Armen aufs aufgeschäumte Wasser und versuchte hier und dort etwas anzusaugen. Vergebens. Je wilder er wurde, desto weniger erwischte er. Und je weniger er erwischte, desto mehr Mutige fanden sich, die sich zwischen seine Arme steuerten. Den ganzen Tag ging das so, und als die Nacht hereinbrach und der Krake sich eigentlich zur Nachtruhe niedersinken lassen sollte, war er immer noch am Wüten. Die Fischer zündeten die Fackeln an und machten weiter. Wer nicht mehr konnte, steuerte zurück und überliess den Platz einem anderen.
Als der graue Morgen anbrach, da platschte der Krake nur noch kraftlos mit den Armen. Die ganze Farbe war aus ihm gewichen und er sah aus wie einer der Octopusse, die die Fischer nach gutem Fang auf die Kaimauer klatschten, um sie zarter zu machen.
Als die Fischer merkten, dass der Krake nun zu schwach war, um sich noch ernsthaft zu wehren, da torpedierten sie ihn mit allen Harpunen, Gabeln, Säbeln und Messern, die sie hatten.
Am Mittag war der Krake seiner Krakenarme ledig und versank tot in den Fluten des Meeres.
Die Geschichte ging leider fast vergessen, und so kam es, dass heute wieder riesige Kraken ihr Unwesen treiben und alle Warnungen in den Wind geschlagen werden.