HALBTRÄUME – VON NIKO STOIFBERG (KUNST)

Täglich ein neues Bild!    Seit dem ersten Januar dieses Jahres notiert sich der Autor Niko Stoifberg morgens immer den letzten Traum, den er noch im Kopf hatte. Manchmal eins zu eins wie geträumt, manchmal etwas weitergesponnen. Dazu gibts ein Bild von seinem Kopfkissen.

Wir freuen uns sehr, dass wir seine Halbträume hier ab sofort täglich teilen dürfen!

2020/4/20 – Ich träumte von einer Volksabstimmung über das Tragen von weissen Hemden. Die Initianten führten an, dass diese sehr oft gewaschen würden und deshalb unökologisch seien. Sie kamen mit ihrem Verbotsentwurf durch; nicht zuletzt, weil das Gegenkomitee aus Bankern und Sektenführern bestand.

 

2020/4/18 – Ich träumte von Coiffeursalons, die im Hinblick auf die kommende Kundenwelle Intensivstationen einrichten mussten.

 

2020/4/17 – Ich träumte, dass sich Gott und Adam in der Sixtinischen Kapelle – jetzt, wo keine Touristen zuschauten – endlich näherkommen konnten.

 

2020/4/16 – Ich träumte, dass der Karneval in Venedig doch noch stattfand: Alle trugen FFP-Masken. Auch die Basler durften Fasnacht feiern – unter der Bedingung, dass sie ihre Piccolos regelmässig in heisser Mehlsuppe wuschen.

 

2020/4/15 – Ich träumte von einem hochbegabten Kind, dessen Lehrer verzweifelt nach Aufgaben suchte, die es nicht unterforderten. Er trug ihm auf, nach einer Weltformel zu suchen. Es begann zu rechnen, fand die Formel tatsächlich – doch als es sah, was dabei rauskam, wagte es sie niemandem zu zeigen.

 

2020/4/14 – Ich träumte, dass sich das blaue Band, das der Frühling flattern lassen wollte, in einer Hochspannungsleitung verfing.

 

2020/4/13 – Ich träumte von einer Augenkrankheit, deren Opfer nur noch rot sahen. Weil sie sich als untherapierbar erwies, begannen einzelne Patienten eine Brille aus Milchglas zu tragen. So sahen sie die Welt rosa.

 

2020/4/12– Ich träumte von einem Wanderprediger, der seine Popularität in den Dienst der #stayhome-Kampagne stellte und trotz des prächtigen Osterwetters zu Hause in seiner Grabkammer blieb.

 

2020/4/11 – Ich träumte von Jägern und Gärtnern, von Hemingway und Thomas Bernhard. Träumte davon, wie Hemingway die einen mochte, Bernhard die andern. Träumte, dass Hemingway mehr konnte, Bernhard aber mehr wusste.

 

2020/4/10 – Ich träumte, dass Jesus in einer sehr toleranten Zeit aufwuchs und 99 wurde statt nur 33. Dann aber steckte ihn Judas mit Corona an, weil sie sich nicht an die Abstandsregel hielten.

 

2020/4/9 – Ich träumte von einem Mann, der das Sprichwort «The best is always yet to come» zu seinem Lebensmotto machte. Kurz darauf fiel ihm ein besseres ein.

2020/4/8 – Ich träumte, dass die Swiss Kredit verlangte, um Silberstreifen an den Horizont zu malen.

 

2020/4/7 – Ich träumte von einem Vogel, der gegen eine Fensterscheibe flog und durch die Gehirnerschütterung eben jene Melodie vergass, die ihm bis anhin alle Herzen erobert hatte.

 

2020/4/6 – Ich träumte von einem, der jeden Tag mit dem linken Fuss aufstand – weil er nur diesen hatte.

 

2020/4/5 – Ich träumte von Bäumen und Sträuchern, die blühten, bevor sie sich neue Blätter zulegten. Und fragte mich, ob Maslows Behauptung, dass Nahrung wichtiger sei als Sex, wirklich auf alle Wesen der Schöpung zutrifft.

 

2020/4/4 – Ich träumte von einem Mädchen, das sein liebstes Wimmelbuch aufschlug, aber ausser ein paar Tauben und einem streunenden Hund nichts mehr entdeckte.

2020/4/3 – Ich träumte von Frau Holles Grabstein. Er war mit einem Moos überwachsen, das in diesen Breitengraden bislang nicht vorkam.

2020/4/2 – Ich träumte von einem Quarantänen-Roman namens «Hier».

2020/4/1 – Ich träumte von einem US-Präsidenten Biden. Dann ging der Telefonwecker an und zeigte mir das Datum.

 

2020/3/31 – Ich träumte von einer extrem progressiven Band. Leider erlebte sie nie jemand live, weil sie der Zeit immer weit voraus war.

 

2020/3/30 – Ich träumte von einer Regierung, die die Winterzeit verlängerte, um eine Stunde im Kampf gegen Corona zu gewinnen.

 

2020/3/29 Ich träumte von einem alten, bärtigen Mann, der ein grosses Schiff baute. Er nannte es «Hoffnung». Als es fertig war, liess er es fahren.

2020/3/28 – Ich träumte von einem Dadaisten namens Hannes Reh, der sich H. Reh nannte, eine Frau namens Krishna heiratete und seine Tochter auf den Namen Kartoffelpü taufte.

 

2020/3/27 – Ich träumte – leider nicht, es ist wahr – dass meine Cousine, 25 Wochen schwanger, einen geplatzten Blinddarm operieren musste. Mutter und Kind sind wohlauf.

2020/3/26 – Ich träumte, dass das Coronavirus mutierte und das Internet befiel. Jetzt endlich hatten die Leute die Ruhe, die für Quarantänen typisch sein soll.

 

20/03/25 – Ich träumte von einem Mädchen, das eine schwarz-weisse Geiss gesehen hatte. So eine wünschte es sich in Plüsch. Der Vater graste das Internet ab, doch er fand nur vollständig schwarze oder aber vollständig weisse Geissen. Eine dieser letzteren kaufte er und tunkte ihr Hinterteil in einen Topf mit schwarzer Baumwollfarbe. Er schenkte sie seiner Tochter. Die sagte: «Nein, vorne schwarz und hinten weiss!»

 

2020/03/24 – Ich träumte von einem Atemschutzmasken-Hersteller, der die Produktion auf T-Shirts umstellte. Darauf stand: «I’ve had it, you can kiss me!»

 

2020/3/23 – Ich träumte von einem Obdachlosen, der die Ausgangsregeln einhalten wollte.