Kulturbeobachtung

Ethnologische Abteilung des Kantonsmuseums Luzern

(Fund LB_001_074)

Die Rasierklinge als generationen- und geschlechterverbindendes Objekt

Barthaare, Kopfhaare, Achsel-, Bein- und Schamhaare, Struppies, Punks und behaarte Rücken – die Rasierklinge hobelt sich bereits einhundertvierzig Jahre über die Häute und Häupter allerlei Menschen und hat dabei alle Hautfarben und Geschlechter gleich behandelt. Meist, indem sie sie bluten liess.

Generationen von mit Gesichtsbehaarung gesegneten (oder gestraften) Männern  liefen mit der japanischen Fahne im Gesicht herum. Klitzekleine Toilettenpapierschnipselchen, die lediglich von einem blutroten Pünktchen im Gesicht gehalten wurden.

Feinste Klingen, die sich durch vorsommerliche Bikinizonen schnitten und ein Schlachtfeld blutender Pusteln und schreiender Damen hinterliess.

Natürlich machte die Rasierklinge auch vor Drogen nicht halt. Strasse um Strasse wurde weisses Pulver auf Spiegeln und Tischplatten geschoben, nur um gleich darauf in Zuhülfenahme eines gerollten Hunderters ins Hirn geschnieft zu werden.

Und natürlich müssen auch die Legionen verzweifelter Liebesuchender und Lebensmüder genannt werden, die sich im warmen Badewasser die Pulsadern aufschnitten. Frauen und Männer jeder Hautfarbe, die leblos im roten Badewasser lagen, am Boden ein Abschiedsbrief und die aus der erkalteten Hand gefallene Gillette Fine Blade.

Nun hat das alles ein Ende. Seit Jahren schon ist dieses alle Verbindende vom Markt genommen. Frauen rasieren sich in Rosa, die Herren in Stahl, Turbo Mach sowieso, vier- und fünfklingig, Hauptsache, es hört sich supermartialisch an.

Aber lange schon haben sich Elektrorasierer, Epiliergeräte, Trimmer und Laser etabliert. Alle schön geschlechtsspezifisch, um ja die in ihrem Geschlecht nicht oder noch nicht Definierten mit verwirrten Gesichtern in den Elektroabteilungen herumirren zu lassen.

Immerhin, die japanischen Flaggen hängen noch immer im Gesicht der Männer, weil diese keine Lust haben, allport einen neuen Klingeneinsatz für ihre Rasiermaschinen zu kaufen, und lieber den stumpfen Stahl über ihre Gesichter rattern lassen.

Diese abgebildeten beiden Schächtelchen mit Gillette-Rasierklingen sind also mehr als nur archäologische Funde aus der Löffelburg. Sie gemahnen uns an eine Zeit, in der Mann und Frau, Schwarz und Weiss (und alle anderen) eine Rasierklingenbreite enger beisammen waren, als sie das heute sind.

 

© Simon Meyer, 2019