ZIGELINDCHENS ERKLÄRUNGEN – VON PETRA MEYER (TEXTE)

Das Zigelindchen erklärt uns die Natur.

Heute: Teil 1 – vom Pirol bis zur Trottellumme

 

Pirol
Der Pirol mit seiner zauberhaften Landschaft gehört zu den schönsten Gegenden, die ich je bereist habe. Romantische nebelumwobene Teiche, fröhlich-bunte Sommerwiesen, würzig weiche Duftschwaden im Herbst und kühl-kuschelige Winterabende bei einem hochprozentigen klaren Schnaps haben es mir schon vor Jahren angetan.
(Goldgelb gefiederter Vogel, vor allem in Laubwäldern)

 

Blauracke
Was wäre die Sportsaison ohne die Blauracke! Immer im Frühling strecken sie ihre ersten Bändel erwartungsvoll vom kalten Kellerabteil hinauf in die Kinderzimmer und verheissen bereits spannende Wettkämpfe für die kommende Spielsaison. Manchmal werden die Blauracke allerdings im Herbst etwas unachtsam und schmutzig in ihr Winterquartier verbannt, was dann im nächsten Jahr bisweilen zu – begreiflicherweise! – schlechteren Resultaten führt.
(Bunter, dohlengrosser Vogel, fluggewandt, überwintert in Südafrika)

 

Genfer Günsel
Der Genfer Günsel ist im Unterschied zum Beispiel zum Aargauer Günsel wesentlich weltoffener. Er versteht sich darauf, Angelegenheiten internationalen Interesses günselnderweise klären zu helfen, sich seines unverwechselbar charmanten französischen Akzents bedienend. Er hat ein wohlwollendes, friedfertiges Naturell und liebt geradezu die Alliteration.
(Quirlständige Blütenpflanze mit bläulichen Blüten, 10–30 cm, auf Trockenrasen, Weinbergen, Äckern)

 

Taumel-Lolch
Was gibt es schon zu sagen zum Taumel-Lolch … Er lolcht tagträumerisch taumelnd durch den Tag, ungehemmt, unbemerkt, wiewohl durchaus nicht ungeliebt.
(Grasart, grau- bis blaugrün, bis 1 m hoch)

 

Nickender Milchstern
Vor einigen Jahren, in einer dunklen, sternklaren Nacht, deren Stille nur vom Ruf eines Waldkäuzchens zuweilen jäh unterbrochen wurde, und deren dunkle Bläue vom silbrig schillernden Band der Milchstrasse zart umspielt war, da trug es sich zu, dass aus diesem hellen Band ein einzelner Stern liebevoll mir zunickte und mir bestätigte, was ich doch schon lange zu erkennen geglaubt hatte: Jeder Mensch auf dieser Welt hat seinen Stern, zu dem er aufblicken und seine Seele schweifen lassen kann.
(20–50 cm hohe weisse Blütenpflanze, auf Fettwiesen, in Obstgärten)

 

Gemeines Brillenschötchen
Es ist eine Binsenwahrheit, dass Schötchen gemeinhin die Eigenschaft haben, ein wenig frech zu werden. Das spezifische Gemeine Brillenschötchen hat hier sozusagen ganze Arbeit geleistet und jenen Charakterzug zur Vollendung gebracht. Nichtsdestotrotz gibt es keinen Grund, das arme Ding von Vornherein ganz abzulehnen – seine Frechheit hat oftmals sehr menschliche Züge und verdient es, ab und zu erhört zu werden.
(15–40 cm hoch, gelbe Kronblätter, Früchte flach, brillenförmig, Trockenrasen, kalkhaltige Böden)

 

Trottellumme
Wer gedacht hätte, die Trottellumme sei ein Vogel, hätte damit Recht.
(Seevogel, brütet auf Helgoland)

 

Petra Meyer ist Löffelburgerin, Lektorin, Worterfinderin, Kulturtäterin und das Zigelindchen

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