CHAOSWÜRFEL – VON BARBARA JÄGGI (KUNST, KURZFILM VON SIMON MEYER)

Die Luzerner Künstlerin Barbara Jäggi arbeitet seit vielen Jahren mit Metall und schafft vielfältige, filigrane, unscheinbare, imposante, witzige, poetische Objekte.

Der im Kurzfilm von Simon Meyer animierte Jäggi’sche Chaoswürfel setzt sich zusammen aus den Würfelflächen mit kleinen Löchern in den Ecken und je überlangen Drähten, die den Würfel durch diese Löcher zusammenhalten. In der Luft mit Geschick in seine Würfelform gebracht, lässt sich dieser Zustand kaum halten: Sobald man den Würfel hinlegen will, verliert er seine Form. Ein Meisterstück.

 

Und als Supplement hier die «einfühlenden Worte» anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung von Barbara Jäggi in Luzern – natürlich mit dem Chaoswürfel!

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Matinée Barbara Jäggi, 13. April 2014 bei mesch web consulting & design, Luzern

Liebe Kunstfreundinnen und liebe Kunstfreunde

Einmal mehr stehe ich anlässlich einer Matinée und Ausstellungseröffnung hier bei mesch vor Ihnen. Doch heute muss ich Sie leider enttäuschen: Auf der Einladung steht, dass ich «einführende Worte» an Sie richten werde. «Einführende Worte» meint ja normalerweise, dass man eine Einführung in das Werk einer Künstlerin oder eines Künstlers gibt. Das hat aber im Fall von Barbara Jäggi im vor Kurzem erschienenen Werkbuch «Barbara Jäggi – Lauter Blech» bereits Birgit Kämpen-Klapproth mit ihren Begleittexten auf so ausführliche wie elegante Art geleistet, dass dem aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen ist. So lege ich Ihnen also zur Einführung ins Werk diesen «Ziegel» ans Herz – ein Buch, dass Sie nicht nur wegen der Texte immer wieder gern in die Hände nehmen werden, sondern auch wegen seiner kunstvollen Gestaltung von Jürg Meyer. Ein Kunstwerk-Buch, das im Büchergestell Platz hat.

Platz im Büchergestell dagegen haben viele der Werke von Barbara nicht. Aber in Kisten! Als ich am letzten Mittwochnachmittag hierhergekommen bin, um während des Einrichtens dieser Ausstellung kurz mit Barbara zu reden, sah ich zunächst – Kisten. Viele Kisten. Und noch mehr Kisten. Alle aus Holz gefertigt, die meisten gleich gross und jede einzelne akkurat angeschrieben: «Wolken» stand da etwa, oder «Konkrete Rostwand 1». In den Kisten dann fein säuberlich in feinem Papier eingewickelt Barbaras Bleche. In verschiedensten Formen und in unterschiedlichen Roststadien, manchmal blank poliert, manchmal so bröselig an der Oberfläche, dass beim Auspacken immer ein Häufchen Rost in den Einschlagpapieren liegen bleibt.

Wenn ich jetzt gedacht hatte, dass ich einfach kurz mit Barbara reden würde: nichts da. Bald habe ich kleine Nägel im Mund und den Hammer in der Hand gehabt und habe die «Konkrete Rostwand» auch selbst ganz konkret erlebt. Zusammen mit Barbara haben meine Schwester Rahel und ich die vielen Blechquadrate eingepasst und genagelt. Beim Setzen der schrägen Bleche hat mich als mathematisch ziemlich Unbegabte ganz kurz eine erste Unsicherheit beschlichen: Wenn die gerade gesetzten Quadrate … dann können doch die schräg gesetzten nicht gleich gross … Mein ehemaliger Mathilehrer mit Übernamen «Geier» hätte Freude gehabt an meiner Denkleistung – ich lag richtig mit meiner Vermutung, die schrägen sind natürlich tatsächlich kleiner. Die nächste Irritation hat Barbara dann beim Aufhängen selbst initiiert: bei den oberen drei Reihen … – aber entdecken Sie es selbst.

Nachdem die «Konkrete Rostwand» stand, gings raus auf die Terrasse: der Zwölfflächner, also Dodekaeder, lag schlapp am Boden und wollte doch hoch hinaus. Also haben wir zu dritt einzelne der beweglichen, mit Gelenken verbundenen Stangen gehoben und bewegt – Barbara nicht ohne zu fluchen wegen eines eingeklemmten Fingers –, bis schliesslich eine Figur in der Luft gestanden ist, die gefiel. Mit Draht und Klemmbriden noch gut fixiert, und schon gings weiter mit den «Wolken». Welche passt wo hin? Mut zur Lücke oder die Fülle darstellen? Es ist wie in der Malerei: Am Anfang ist die leere (Lein-)Wand. Dass diese teilweise recht schweren Bleche übrigens «Wolken» heissen, hat ja gerade durch diesen Gegensatz eine gewisse Ironie.

Und genau solche Gegensätze sind es, die mich an Barbara Jäggi und an ihren Werken faszinieren. Eine feinsinnige Frau, die mit schweren Materialien und Werkzeugen hantiert, eine, die in ihrem ganzen Sinn für mathematische Genauigkeit – und die braucht es, um zum Beispiel die Objekte hier auf dem Tisch zu konzipieren und zu entwerfen – trotzdem die Unordnung gern hat. Eine wache Frau, die auch mal laut werden kann, wenn etwas nicht geht wie es sollte, und eine Frau mit Schalk hinter den Ohren, die das Spielerische liebt.

Spielen Sie jetzt selbst – zum Beispiel mit dem Chaos-Würfel, meinem erklärten Lieblingsobjekt, eben weil ich anhand von ihm geometrische, aber auch philosophische Einsichten gewinne, die mir der «Geier» nicht hatte anschaulich machen können in der Schule. Entdecken Sie auch die grossen Objekte auf der Terrasse und staunen Sie über das komplex verschachtelte Innenleben des roten Findlings.

Aus den «einführenden Worten» sind jetzt fast eher so etwas wie «einfühlende Worte» geworden. Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich nun auch einfühlen können in die Werke von Barbara Jäggi – vielleicht ist Ihnen dabei ja die eine oder andere Einsicht vergönnt. Ich wünsche Ihnen eine beglückende Augenernte!

Petra Meyer