Die Beleidigung – eine Verteidigungsschrift

Die Beleidigung – eine Verteidigungsschrift

Vor einiger Zeit schrieb ich ein Gedichtlein über die Corona-Leugner und die Eitelkeit. Daraufhin ward ich angegangen und mir wurde gesagt, dass das beleidigend sei. «So? Gut!», erwiderte ich.

Natürlich ist es absolut erlaubt und gerechtfertigt, dumme Menschen wie Corona-Leugner (und an genau diese richtete sich das Gedicht, und nicht an Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer nicht impfen lassen!) zu beleidigen.

 

Seit der Antike ist es Aufgabe von Sängern, Dichterinnen, Kabarettisten, Schriftstellerinnen und Künstlern, die Dinge in der Welt aufzuzeigen, zu reflektieren und in ihrer eigenen Art und Weise wiederzugeben, den Menschen vorzuhalten, sei es zur Belehrung oder Unterhaltung. Dabei wurde immer auch ein Mittel herangezogen, das heute zwar von fast allen gebraucht wird, dennoch aber in Verruf gekommen ist: die Beleidigung.

Simon Meier schreibt in seinem Text «Beleidigungen als Gegenstand der Gesprächsrhetorik»:

«Als ‹rhetorisches Devianzphänomen› ist die Beleidigung ein janusköpfiges Wesen. Einerseits wird sie in rhetorischen Kunstlehren als unzulässige und unschickliche Strategie eher kritisch gesehen, anderseits steht die persuasive Kraft geschickt formulierter Beleidigungen außer Frage.»

Tatsächlich riet Platon von der Verwendung von Beleidigungen in der Streitrede ab, aber bei ihm ging es eben um die Kunstform der Streitrede, in welcher vermieden werden sollte, dass eine Diskussion dadurch behindert würde, weil einer der Kontrahenten sich beleidigt zurückzog (oder das Schwert hervor).

Im antiken Rom bekam die Beleidigung zwar ebenfalls wieder eine Absage, wenn es um die Rhetorik ging, doch das wurde selbst von Cicero relativiert, der durchaus den Reiz einer gut angebrachten Provokation oder Beleidigung erkannt hatte. Der berühmte Catull ging bereits weiter und bezeichnete etwa Caesar als «Strichjungen und Ehebrecher», und was Cicero oder Sallust einander an den Kopf warfen, würde heute wohl zensiert werden. Noch deftiger – wenn das möglich ist – ging es in den Schmähschriften zu und her, die sowohl in Schriftstücken als auch als Graffiti an Hauswänden in Rom oder Pompeji überliefert wurden.

Im Mittelalter wurde dann weiter beleidigt und die Beleidigung fand ihren Höhepunkt im 18. Jahrhundert und ebbte dann wegen der aufkommenden «Wir sind alle Brüder»- und «Liberté, Égalité, Fraternité»-Rufe wieder ab. Heutzutage gibt es gar eine «Höflichkeitstheorie» und dazugehörige Studien und Schriften, etwa verfasst von Prof. Dr. Christa Dürscheid vom Deutschen Seminar der Universität Zürich, welche die verbale Gewalt in den Sendungen von «Blocher TV» untersucht hat.

Sei’s drum. Mir ist die Geschichte egal. Da der Mensch daraus nicht zu lernen bereit ist, kann sie getrost ignoriert werden.

Die Beleidigung, die Schmähung, der verbale Angriff auf Personen oder Personengruppen war, ist und wird wohl immer ein Mittel sein, um die Aufmerksamkeit auf oder von sich abzulenken. Es kommt lediglich auf die Form an. Auch bei den ganzen Forenbeleidigungen,  wie Simon Meier in der oben erwähnten Arbeit schreibt: «Entsprechend wird die Beleidigung als konstitutive Strategie polemischer Gattungen wie der Invektive seit jeher reflektiert und natürlich von rhetorisch versierten Rednern auch praktiziert. Die recht präzise beschreibbare Wirkungsabsicht lässt sich zudem mit hierfür gut geeigneten rhetorischen Formen wie Vergleichen (‹Esel!›) oder Synekdochen (‹Arschloch!›) korrelieren.»

Ich halte persönlich nichts davon, jemandem «Arschloch» ins Gesicht zu sagen, es ist zu billig, zu einfach und zu deutlich herabsetzend, und so, dass dem anderen nichts anderes übrig bleibt, als dir eine gepfefferte Rechte in die Fresse zu donnern.

 

Nein, es ist lustiger und anspruchsvoller, sowohl für den Schmäher als auch für die Geschmähten, eine nette Anekdote, ein Gedicht oder eine kleine Geschichte zu schreiben. Wer sich nicht in wohlartikulierten Worten über Menschen lustig machen kann, die denken, dass sie wegen der Corona-Impfung die göttlichen kosmischen Strahlen nicht mehr empfangen, sollte darüber schlafen und es sich dann noch einmal überlegen. Ebensolches gilt natürlich für Menschen, welche die Schweiz als Diktatur bezeichnen. Natürlich wäre es nicht falsch, hier Vergleiche aus dem Tierreich heranzuziehen, aber auch das, nein!, wäre zu wenig konstruktiv. Also sollte man das Thema reflektieren, in sich gehen, das Böse in sich selber suchen und dort die Sympathie für die Anarchisten finden, die gewillt sind, mithilfe der Ausrede «Impfzwang» die demokratischen Systeme zu zerstören. Man sollte es genau betrachten und dann seine Schlussfolgerungen ziehen. Sie geordnet und in gesitteter Weise vorbringen und niederschreiben. Und nicht wie diese Foren-Trolle «Du Arschloch!» bellen.

 

Nun brachte mein Gegenüber ein interessantes Argument gegen jede Form der Beleidigung – seiner Meinung nach spalte solches die Gesellschaft.

(Ich sagte: «Interessantes Argument, aber nicht stichhaltig!») Tatsächlich ist es so, dass die Gesellschaft immer gespalten war und auch heute nicht weniger gespalten ist oder sein wird. Jemand sage mir einmal eine Zeit, in der die Gesellschaft nicht in irgendeiner Art und Weise in Tausende und Abertausende Gruppen geteilt war, in Meinungen, Sprachen, Geschlechter, Religionen, Auffassungen oder Cola-Vorlieben.

Die heute stattfindende Debatte um eine herbeigeredete Ausgrenzung «Andersdenkender», wie es Michael Ballwegs geistiger Wurmfortsatz Nicolas Rimoldi ausdrückte, ist ebenfalls die reine Erfindung, denn tatsächlich wurden Andersdenkende schon immer ausgegrenzt. Das gehört zu einer Gesellschaft dazu, und diejenigen Andersdenkenden, deren Argumente irgendwann von der Gesellschaft akzeptiert werden, können überleben; das restliche Gedankengut (und -ungut) kapselt sich ein und kommt vielleicht wieder, oder es geht in der Geschichte dieser Gesellschaft unter.

So gibt es also gegen eine gepflegte Schmähschrift nichts einzuwenden, denn ihr kann begegnet werden, ohne Fäuste fliegen zu lassen.

Würden sich – und bei den Göttern der Antike, das wäre lustig! – die Freiheitstrychler der SVP einmal eines netten Gedichts bemühen, anstatt uns immer und immer wieder mit denselben abgedroschenen Phrasen zuzulabern, dann käme immerhin wieder so etwas wie Kultur in die politischen und gesellschaftlichen Diskurse.

 

Und weil ich grad in Stimmung bin:

Gedicht an Ueli, den Trychler

Es trug der Ueli nur ein Hömmli

Voller Trycheln und sonst weiss

Doch er tut in Schwyzer-Frömmi

Schon seit Jahren jeden Scheiss.

 

Die Debatte um den Fetzen

Sie ist falsch und tut nicht gut

Man soll nicht die Dummen hetzen

Sondern Männer echten Muts.

 

Doch die Trychler sind nicht Mutes

Für die Schweiz selbst einzustehn

Von ihnen kommt beileib nichts Gutes

Drum müssen sie halt trycheln gehn

 

Wie wäre es, wenn diese Leute

Mit echten Worten diskutiern

Statt wie immer und auch heute

Nur verächtlich lamentiern?

 

So könnte etwa unser Ueli

Stets sich selbst sein, überall

Ob beim Bauern oder Chueli

Oder Albisgüetlisaal.

 

Ob beim hohen Bundesrat

Oder gar bei fremden Mächten

brummen ganz nach Waldschrat Art

«Ich kämpf nur für unsere Rechte!»

 

Denn, oh Ueli, alter Trychler

Mir wär solches einerlei

Politik ist nichts für Hüchler

Und drum mach dich endlich hei!

 


Quellen:

Bild: Fresco von Cesare Maccari, 1889, Rom

  • Simon Meier, «Beleidigungen als Gegenstand der Gesprächsrhetorik»: LINK > PDF
  • Christa Dürscheid, «Sprachliche Höflichkeit – Exemplarische Untersuchungen zu ‹verbaler Gewalt› und ‹(Un-)Höflichkeit›»: LINK > PDF

 

© Simon Meyer, 2021