SMY – VON SMY (TRIVIALLITERATUR)

NEU! mit letztem Kapitel! – DIE ABENTEUER DES SMY – Die Verführung Artemis, und wie er Griechenland spaltete.

Werte Leserin, werter Leser

Zeit ist eine tolle Sache, das Dumme daran ist nur, dass sie relativ ist. Aber das soll uns im Moment nicht aufhalten. Falls Sie davon etwas übrig haben und nicht wissen, wohin damit, dann habe ich hier genau das Richtige für Sie: SMY – ist eine Meinheit oder Ichseiung, wie Sie sie nicht oft zu Gesicht bekommen (wenn überhaupt) und seine Geschichte ist entweder Schöpfungsgeschichte oder billige Unterhaltungsliteratur (man forscht noch …). Er ist Grossartig und fabelhaft, gutmütig und weise, einer der grössten Angeber seit Jehowa und in seiner Bescheidenheit dennoch unübertroffen.

Seine Besuche dieses und vieler anderer Planeten gehören in nicht weniger als vierhunderttausend Planetensystemen zum Schulunterricht und wurden in 1D, 2D, 3D, 4D und ja, selbst in 286D verfilmt.

Hier werden wir Ihnen von seinen Abenteuern berichten, über seine Geschichte und – Obacht – Hintergrundinfos und Gerüchte erzählen, die sie sonst nirgendwo im Universum, jedenfalls nicht diesem, bekommen werden!

 

Kapitel 1 – Anfang

Kapitel 2 – Beginn der Zivilisation

Kapitel 3 – Artemis

Kapitel 4 – Sparta


DIE ABENTEUER DES SMY von SMY

ANFANG
Bitte, ich möchte mich vorstellen. SMY. Schöpfer Ihres Universums.
Sie dürfen mich gerne mit Allmächtiger SMY ansprechen, Eure Grossehrwürdige Konstruktivität, oder auch einfach mit SMY. Sie fragen sich vielleicht, wie ich dazu gekommen bin, ein Universum zu bauen. Nun, stellen Sie sich vor, Sie sind elf und bekommen zu Weihnachten einen netten kleinen Baukasten. Darauf steht «Bau dir dein eigenes Universum – ein Produkt der Firma Gustaf Ott.»
Im Karton etliche Schachteln mit Protonen, Neutronen, Zubehör und irgendwelchen sonderbaren Teilen. So, nun steh’n Sie da im grossen NICHTS, den Baukasten unterm Arm, die Gebrauchsanweisung in der Hand. Sie wurde in Sanskrit, Samisch und Singhalesisch mitgeliefert, was wirklich passend ist, da alles in Singhalesisch angeschrieben ist. Okay, was soll’s, werf ich halt, so wie es die Gebrauchsanleitung will, den ganzen Plunder einfach mal in den leeren Raum. AHA! RAUM. Welchen Raum? Wie gut, dass Sie einige Brocken Singhalesisch sprechen. Sie sind nicht auf den Kopf gefallen, und als Sie in der Schachtel die Dose mit der Aufschrift «gabadavā» sehen, was – wie Sie wissen – Depot oder Lagerraum bedeutet, ist Ihnen sofort klar, dass diese Gebrauchsanweisung vom Spanischen ins Kyrillische, von da ins Japanische und von da dann ins Singhalesische übersetzt wurde, und gabadavā nichts anderes bedeuten soll als RAUM. Sie öffnen die Dose und staunen nicht schlecht. Der RAUM ist dermassen zusammengeknüllt, dass Sie alle Mühe haben, ihn zu entfalten. Nun muss er noch im NICHTS platziert werden. Da gibt’s nur eins: gut ausschütteln, wie ein Kissen.
So, und jetzt den Rest der Packung einfach in den Raum werfen. Einfach rein damit? Mitnichten!
Das Zeug muss erst zusammengequetscht werden, damit es bei der Zündung ein schönes Bumm macht. Nehmen Sie also den Chromstahlzylinder. Schütten Sie alles rein und schrauben Sie das Teil mit der Aufschrift «janavāri» drauf. Kümmern Sie sich nicht darum, dass das Januar heisst und nichts, aber auch gar nichts mit dem Thema zu tun hat. Drücken Sie nun den roten Hebel bis zum Anschlag durch. Drehen Sie das Ganze um und setzen Sie den gelben daumendicken Stift ein, der jetzt noch in der Schachtel liegt. Die Schrauben, welche ebenfalls noch da sind, können Sie ignorieren, sie sind ein uralter Running-Gag, der von solchen Firmen geliebt wird. Weshalb? Weil sie Langeweile haben, deshalb.
So, jetzt ziehen Sie den oberen roten Stift heraus. Richtig! Werfen Sie nun alles in den RAUM. Sie haben genau zehn Sekunden Zeit, sich in Sicherheit zu bringen.

Foto: Simon Meyer

So macht man das. Durch das neu geschaffene Universum hallt nun eine Stimme: «Vielen Dank, dass Sie ein Produkt der Firma Gustaf Ott gekauft haben. Sollten Sie damit zufrieden sein, empfehlen Sie uns weiter.»
Es wird Ihnen eine Freude sein, in Swahili einen netten kleinen Brief zu schreiben und dem Herrn Ott mitzuteilen, was Sie von der Übersetzung der Gebrauchsanweisung halten.
So ein Universum ist eine tolle Sache, aber, wie das mit Weihnachtsgeschenken so ist, vieles ist schlicht und ergreifend Schrott. Wo sind die Zeiten, als mir meine Grossmutter noch jede Weihnachten ein Paar handgestrickte Wollsocken schenkte. Einige Geldstücke, ein Salsiz und ein Säckchen mit Kirschstängeli. Na ja, wie auch immer. Es vergingen keine zwei Milliarden Jahre, da stellte ich fest, dass mit dem Universum etwas nicht stimmte. Ich konnte beim besten Willen nirgends auch nur einen Hauch von Leben ausmachen.

Ich gebe es zu, es dauerte etwas, bis ich draufkam: Natürlich, die Zeit fehlte!
Wie sollte es eine Zeitlinie geben, wenn der Raum nicht expandierte; und, da werden Sie mir sicher Recht geben, wie soll es Leben geben, wenn es keine Zeit gibt? Ich ging also auf den Dachboden und schaute nach, ob ich vielleicht die Schachtel mit der Gebrauchsanweisung aufbewahrt hatte. Da dem nicht so war, blieb mir nur eins: den ganzen Kram zusammenkehren und zurückschicken.
Nach einigen Wochen kam ein Paket zurück. Darin ein Brief der Firma. «Sehr geehrter SMY, leider ist es uns nicht gestattet, expansive Universen an Kinder unter zwölf Jahren zu liefern. M.f.G. G. Ott PS: Ihren Brief bezüglich der Übersetzung haben wir erhalten und danken für Ihre Anregungen.»
So was aber auch, woher wusste der, dass ich erst elf bin? Da sie mir einfach den Schutt des kaputten Universums zurückgeschickt hatten, mir aber die Teile für die Zündung fehlten, konnte ich nichts anderes tun, als die zwei Tage abzuwarten, bis ich Geburtstag hatte. Meine Tante Ida war so nett, mir noch einen Kasten zu schenken, diesmal mit expansivem Universum, thermodynamischem Zeitpfeil, Schwarzen Löchern und allem, was dazugehört. Wow!

Leider habe ich einen klitzekleinen Fehler gemacht. Erinnern Sie sich an die Schrauben, die jeweils noch übriggeblieben sind? Nun, ich habe sie «mitverarbeitet». Sozusagen universiert. Ich weiss nicht genau, was geschehen ist, aber irgendwie hat es dazu geführt, dass sich immer wieder die seltsamsten Dinge ereignet haben. Ich wollte das Universum schon auseinandernehmen, da entdeckte ich, dass alles voller Leben war.
Es kann nicht schaden, aus Fehlern zu lernen, überlegte ich, und beschloss, noch eine Weile zuzuschauen. Tja, und dann entdeckte ich Ihren Planeten. Nebst der darauf lebenden intelligenten Spezies gab es auch eine, die das Potenzial hatte, ebenfalls Intelligenz zu entwickeln. Ja, Sie haben richtig geraten: Delfine. Aber die interessierten mich nur wenig. Es sind derart langweilige Wesen, dass ich sie eigentlich gerne mit Reisszähnen nachgerüstet hätte. Nein, ich meine eine Tierart, die sich, nach einer fast ewig dauernden Zeit, zu dem entwickelt hat, was man heute Mensch nennt. Mehr als drei Millionen Jahre Evolution und das Resultat waren Sie! Frustrierend, nicht?
Nun, jedenfalls war die ganze Mischpoke derart schizophren und chaotisch, dass ich mich entschloss, dort einen Besuch zu machen und zu schauen, ob ich allenfalls für den Bau anderer Planeten oder Universen etwas dazulernen könnte.

 

Beginn der Zivilisation
So schleppend langsam ging die Entwicklung der Menschheit vonstatten, dass ich es kaum mehr aushielt. Nachdem sie nach gut eineinhalb Millionen Jahren noch immer rohes Fleisch in sich hineinstopften, verlor ich endgültig die Geduld und nahm einen dieser Idioten beiseite, zeigte ihm, wie man Feuer macht, und verliess frustriert den Planeten, um mich lustigeren Dingen, wie etwa der Beeinflussung thermischer Ströme in nicht rotierenden Sonnen, zu widmen.Als ich das nächste Mal die Erde besuchte, hatten sie doch tatsächlich Kupfer entdeckt. Da ich grad nichts anderes zu tun hatte und es lustig fand, diesen zurückgebliebenen Säugetieren einen Streich zu spielen, stellte ich mich als Gott vor, schenkte ihnen Zink und zeigte, wie man daraus zusammen mit Kupfer Bronze herstellen konnte. Ich bereue diesen Fehler bis heute! Rückblickend, ja, da war es ein lustiger Streich. Wie sie sich alle zu Boden warfen und mir Opfer darbrachten. Ziegen wurden geschlachtet und junge Mädchen, Krieger wurde enthauptet und Obst gepflückt. Sie fingen an, Steine aufzurichten und Pyramiden zu bauen, und allenthalben ward ein grosses Treiben zu meinen Ehren.
Das blödsinnige Getue führte schnell zu Spannungen zwischen den Menschen, denn die einen meinten, ich hätte nur das Zink gebracht, sonst gar nichts, das sei ja nett und so, aber ein derartiges Gewese deswegen zu machen, sei doch etwas übertrieben. Andere behaupteten, als Gott hätte ich grundsätzlich alles gemacht und das Gewese sei deshalb nicht nur gerechtfertigt, sondern dringend notwendig, da ich ja auch wieder beenden könne, was ich angefangen hätte. Wie falsch sie lagen! Wiederum andere sahen mich nur als Aspekt eines oder verschiedener Zustände, also zum Beispiel als Aspekt der handwerklichen Tätigkeit oder als Aspekt des Krieges und so weiter, beziehungsweise (ich schaute selber kaum noch durch) seien diese Zustände Aspekte meines göttlichen Daseins. Pustekuchen! Ich hatte genug gesehen, um zu wissen, dass der Fehler, den ich mit meinem Streich gemacht hatte, nicht mehr korrigiert werden konnte, so sehr ich es in den vergangenen Jahrtausenden auch versucht habe. Entschuldigung dafür!

 

Artemis
Es war in dieserer Zeit der frühen Reiche, als ich mich gerade an einem schönen griechischen Strand nackt in der Sonne räkelte, von der neuen Erfindung namens Wein genoss und mich mit einer wirklich bezaubernden Griechin namens Artemis vergnügte, als plötzlich ein Kerl von gut zwei Meter Grösse in die Sonne trat und mich böse anfunkelte. «Was, beim Olymp, treibst du da mit meiner Tochter, Elender!»

Foto: Gabor Fekete

Ich will es kurz machen. Der Typ hiess Zeus und war hier der Anführer irgendeiner Kaste oder so, ich hatte schon von ihm gehört, denn die einfachen Leute hier behandelten ihn wie einen Gott.
Sein langes Bronzeschwert funkelte im Licht der Nachmittagssonne und schien zumindest Artemis zu beeindrucken. Sie zuckte derart zusammen, dass ihr aus jeder Pore des Körpers klitzekleine Perlen spritzten, die, kaum in der Luft, zu goldenen Rehen wurden, die flink vom Strand weg in die Olivenhaine und Wälder der nahen Hügel flohen.
«Vater!», hauchte sie atemlos.
Ich fand es angebracht, aufzustehen und mich ein ganz klein wenig zu recken, um ihm wenigstens weiter als bis zur Brust zu reichen.
«Zeus, ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen. Ich bin SMY, Schöpfer des Universums, dieser Erde und, mein Freund, all dessen, was du hier siehst. Gut, deine wirklich wunderschöne Tochter Artemis, die haben du und Hera gemacht. Ist es da ein Wunder, dass ich ihr verfalle? Meine Sinne trübten sich, als ich sie sah, und mein Denken setzte aus, denn ich hatte kein Blut mehr im Hirn! Liebe warf mich von den Füssen und beflügelte mich sogleich. Was also kannst du mir gram sein? War je ein anderer so verliebt wie ich? Also, Zeus, darf ich mich weiter mit deiner Tochter treffen?»
Zeus grollte, zitterte vor Wut und hob den linken Arm. In seiner Hand zischte und zitterte grell leuchtend ein Bündel Blitze.

Einige Fakten zu Zeus: Er war nicht der Hellste, er war aufbrausend und jähzornig, nachtragend und lüstern, versoffen, verfressen und wirklich extrem tollpatschig.

Als er seine Blitze schleuderte, traf er nicht etwa mein Herz, sondern lediglich meinen Kopf. Da ich den aber nur selten brauche, blieb ich ungerührt stehen und blinzelte ihn an. «War das ein Ja?»

Wir rauften ein wenig. Das musste sein. Männer, Helden und Götter rauften zu jener Zeit oft und wegen jedem Scheiss. Ich gebe zu, dass ich es nicht gerade hasste. Jedenfalls nicht dann, wenn es nicht darum ging, einander den Kopf abzureissen. Die Rauferei war gut für die Seele, denn Männer sind oft etwas verwirrt wegen des Lebens und des ganzen Zeugs und die Rauferei lenkt sie ein wenig davon ab. Das und Frauen, die, was für eine Ironie, meist für die Verwirrung Anlass waren.

Als wir mit Raufen fertig waren, lagen wir schweissglänzend im Sand des Strandes, leckten unsere Wunden und grinsten einander an. Ein guter Kampf verbindet eben. Das Problem mit dem Herummachen mit seiner Tochter konnte warten, bis wir uns betrunken hatten.
Wir betranken uns, und wie damals üblich – und in den meisten filmischen Erzeugnissen der Menschen bis heute traditionell so weitergeführt – war von der Dame plötzlich nichts mehr zu sehen. Man weiss nicht, ob sie sich nur die Nase pudern ging oder gerade die Klamotten des Alten aus dem Fenster auf die Strasse warf.
Wir jedenfalls kümmerten uns nicht darum, betranken uns heftig, machten im Anschluss, wie es ebenfalls damals üblich war, mit Jünglingen herum und sahen uns dann ernst an.
«Du kannst nicht mit meiner Tochter ausgehen.»
Kein Ausrufezeichen, kein drohender Ton. Es war eine Feststellung.
«Sie will es aber, und ich auch. Es ist Liebe, Zeus, und ausserdem sagte Artemis, dass Hera die Liaison gutheisst.»
«Hera!», prustete er wütend, nahm einen langen Zug aus dem Weinbecher und blickte in den Himmel. «Verdammtnochmal!»
Es blieb einige Minuten still und ich konnte fast hören, wie er nachdachte. «Nun gut», nahm er den Faden wieder auf, «wenn es so sein soll, soll es so sein, aber erst hast du dich zu beweisen.»
Na, das war ja klar! Immer musste man sich beweisen!
«Mein Volk fängt an, mich zu langweilen. Sie saufen, vögeln und philosophieren den ganzen Tag, ohne etwas auf die Beine zu bringen. Jetzt wollen sie sogar die Demokratie erfinden! Das kann so nicht weitergehen. Was die brauchen, ist eine Herausforderung, ein Feind, eine Gefahr! Im Süden des Landes gibt es ein Volk, das sich die Lakedaimonier nennt. Sie sind nicht weniger verzogen als unsere Leute hier. Liegen herum, essen Schafe und trinken geharzten Wein. Was ich will, ist, dass du die beiden zu Feinden machst, jedoch so, dass es nicht zu einfach für sie wird. Sie sollten in etwa gleich stark sein und sich so richtig doll hassen. Wenn du das hinkriegst, dann darfst du mit Artemis ausgehen.»

Foto: Simon Meyer

 

Sparta

Ich ging nach Hause und schlief meinen Rausch aus, liess mich einölen und mir einen Becher Wein und einen Teller Oliven bringen. Nachdenken war nun angesagt. Also dachte ich nach. Am Nachmittag packte ich meine Siebensachen zusammen und machte mich auf in die Hauptstadt der Lakedaimonier – Sparta.
Zeus hatte auch hier bereits den Samen des Hasses gesät und es dauerte nicht lange und ich fand einige Anführer, die begierig waren, einen Krieg mit Athen anzufangen. «Aber unsere Leute kriegen einfach ihren Arsch nicht hoch!», fluchten sie.

Nachdem ich mit vielen gesprochen und das Land bereist hatte, machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause. Es war aussichtslos. Die Leute hier wie dort lebten im Paradies. Olivenhaine, so weit das Auge reicht, Wein, Fisch und fette Schafe. Die schönsten und klügsten Frauen der Welt und die schönsten Strände des Mittelmeers. Weshalb sollte sich irgendjemand unnötig Sorgen machen oder gar Krieg wollen?

Der Tag verging und eine Nacht. Die Griechen waren nicht blöde, sie dachten viel nach und waren imstande, eine Agitation zu bemerken. Die Menschen zu spalten schien mir unmöglich.
Der Tag verging und die Nacht. Ich war nicht blöde, also hatte ich eine Idee. Nicht die Menschen würde ich gegeneinander aufbringen, sondern das Land an sich spalten.
Am Nachmittag machte ich mich auf nach Korinth, einem kleinen hässlichen Kaff an der Grenze zu den Lakedaimoniern. Nördlich des Dorfes befand sich eine Bergkette und am westlichen Ende davon eine steile Klippe, darüber lag das Dorf Perachora (der Name schien mir für mein Unterfangen passend) und ein wunderschöner Hera-Tempel (was ich ebenfalls lustig fand).
Am frühen Morgen des nächsten Tages stellte ich mich oben an die Felswand und schaute über die Felder und Wälder und Wiesen und Haine bis weit in den Westen nach Psathopygros. Dann setzte ich mich auf den Boden und begann mit dem Zeigfinger auf den Fels zu klopfen. Klopf klopf. Klopf klopf. Bis zum Mittag klopfte ich und weiter bis zum Abend. Die ganze Nacht klopfte ich und den nächsten Tag und auch den übernächsten. Am überübernächsten Tag begann der Fels vor mir zu bröckeln und es entstand ein kleiner Spalt. Zwei Tage später war der Spalt einen Finger breit und einen Tag später eine Spanne. Ich sah, wie der Spalt sich Richtung Westen ausdehnte, und klopfte weiter. Unten im Tal begann ein Bächlein in den Spalt zu fliessen und tags darauf waren es schon mehrere Bäche, die sich in den Spalt ergiessen konnten, ohne dass er überlief. Immer breiter und breiter wurde er und nach zwölf Tagen und zwölf Nächten erreichte er Molikrion Rhion, das heutige Andirrio. Doch ich hörte nicht auf zu klopfen, und nach weiteren zwölf Tagen war der Spalt ein Meer von mehr als zwanzig Kilometer Breite. Nur der Bergzug, auf dem ich sass, blieb stehen und bildete eine Landbrücke zwischen dem Norden und dem lakedaimonischen Reich.

Als mein Werk vollendet war, zog ich nach Süden und verbreitete dort das Gerücht, dass die Athener sie derart hassten, dass sie diesen Graben als Grenze geschaffen hätten, um sie auszuhungern.
Dann zog ich in den Norden und verbreitete dort das Gerücht, dass die Spartaner den Graben geschaffen hätten, damit niemand herausbekam, was für ein riesiges Heer sie gerade am Aufbauen waren.

Es dauerte keinen Monat, da stand tatsächlich in beiden Teilen des Landes ein Heer bereit und der lange Krieg zwischen Sparta und Athen begann.

Ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe. Aber ich schäme mich auch nicht. Erstens durfte ich mich nun mit Artemis treffen, und auch wenn die Liebschaft irgendeinmal vorbei war, erinnere ich mich auch heute noch gerne an diese Zeit zurück. Zweitens führt der Mensch sowieso Krieg. Auf einen mehr oder weniger kam es also nicht an. Und wären die Zwistigkeiten zwischen den beiden Streithähnen nicht gewesen, wäre dann Griechenland das geworden, was es war (nicht ist, denn … aber lassen wir das)?

 

 

 

©Simon Meyer, 2020