Verständnisprobleme

Was antwortet man einem Menschen, den man nicht versteht? Er spricht dich an, aber du verstehst rein gar nichts?

Was antwortet man einer Situation, die man nicht versteht? Sie spricht dich an, aber du verstehst rein gar nichts?

Was antwortet man einer Welt, die man nicht versteht? Sie spricht dich an, aber du verstehst rein gar nichts.

Man lächelt freundlich, und geht weiter.

Oder?

Oder …

 

Das Leben in einer fremden Gesellschaft birgt ebenso viele Tücken wie Freuden.

Erinnere dich an deine ersten Ferien in Italien, oder Anderswo. Die anderen Sitten und Gebräuche, es wird anders begrüsst und verabschiedet, zu anderen Zeiten anderes gegessen. Der Umgang miteinander ist verschieden oder die Gefahren, in die man geraten kann.

 

So du einmal das Bedürfnis hast dich auf einen anderen Planeten zu begeben, denke daran, dass nichts, aber auch wirklich gar rein nichts auch nur im Entferntesten mit der Erde zu tun haben muss. Wo dich die Begrüssungsküsserei in Frankreich oder der Schweiz noch irritierte oder belustigte, wirst du auf einem anderen Planeten vielleicht nicht einmal wissen wohin, wenn denn überhaupt, du küssen solltest. Und wenn dich die seltsamen Essgewohnheiten deiner chinesischen Gastgeber noch abstiessen, wirst du das auf einem anderen Planeten geradezu vermissen.

Wir leben in einer Welt, in der sich über die Jahrtausende die verschiedensten Kulturen entwickelt haben. Aber wie seltsam uns die eine oder andere auch vorkommen mag – denen geht es womöglich ebenso – es sind immer noch Menschen, mit denen uns das eine oder andere verbindet.

Gehen wir auf andere Planeten, dann besteht die Gefahr, dass wir mit dem Selbstverständnis, den Bildern und den Erinnerungen der Erde dahin gehen. Das ist dumm. Und gefährlich, denn wie fremd uns das Leben von nicht auf Kohlenwasserstoff basierenden Lebewesen ist, können wir uns schlicht und ergreifend nicht vorstellen.

Es gibt Lebewesen deren Existenzgrund es ist, sich durch Photosynthese Energie zu beschaffen und durch die Verteilung ihres Samens zu vermehren. Dabei produzieren sie allerlei Gase, bilden an ihren Extremitäten Samen aus die sie dann in den Lüften verteilen und ihre Kommunikation besteht in Brummen und Zirpen, dass sie durch Kontraktion der Zellwände abertausender kleiner Extremitätfortsätze bilden, die der Aufnahme von Kohlenstoffdioxid und des Sonnenenergie dienen. Wie willst du mit so jemandem über Fussball oder die bevorstehenden Ferien sprechen? Einfach umarmen reicht da auch nicht zur Kommunikation.

Aber andere Kulturen zu verstehen wird besonders dann zu einer Herausforderung, wenn nicht ganz unmöglich, wenn das eigene Weltbild dem der Gesellschaft in der man sich bewegt, ganz und gar entgegengesetzt ist.

Nehmen wir das Beispiel einer voll emanzipierten Frau, Hochschulabschluss, gut bezahlte Arbeit, die Familienpflichten teilt sie sich mit ihrem Mann und es käme ihr nicht einmal in den Sinn, einem anderen Böses zu wollen (sie wurde von Eltern erzogen die in den 70ern zu einer intellektuellen Hippie-Kommune gehörten und die grössten Wert auf eine Erziehung legten, die das Ziel hatte, die Kinder zu mündigen und ethisch denkenden Menschen zu machen). Nun sieht sie sich plötzlich in einer Gesellschaft aus patriarchal denkenden, das ökonomische Wachstum preisenden, homophoben und sexistischen Menschen wieder.

Die Menschen reden miteinander. Sie nutzen Sätze wie, «die Bedürfnisse einzelner, dem Staat nicht primär nutzenden Individuen, sind auf Grund des Drucks einer globalisierten Wirtschaft zurückzustellen.» oder «Was diese Emanzen wollen ist nichts weiter, als uns Männern die Arbeit wegzunehmen. Ausgerechnet uns, die wir dafür sorgen, dass Geld in die Familie kommt!». «Schwule sind krank, und diese ganze linksversiffte Bande hat nichts anderes im Sinn, als unsere Werte zu zerstören und Sodom und Gomorrha zu bringen!» oder «Demgegenüber ist deutlich festzuhalten, dass die Mittel die durch die von Ihnen angeprangerten «oberen Zehntausend» generiert werden, Ihr Leben als Journalistin überhaupt möglich machen. Wer ist denn der Grösste Teilhaber ihres Blattes? Die Bäckerin von nebenan vielleicht?»

Die kluge Frau steht da, hört diese Sätze, und hat Schwierigkeiten sie in ihr Weltbild einzuordnen. Aber sie ist clever. Sie liest Zeitungen und in Online-Medien, ist auf dem Laufenden über gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Strömungen. Daher reicht es, wenn sie freundlich lächelt und einfach weitergeht.

Was aber, und nun komme ich zu meinem Freund, was, wenn du in einer Gesellschaft aufgewachsen bist, die absolut nichts mit der unseren zu tun hatte? Die weder ein ökonomisches System kennt, da ihr Besitz im herkömmlichen Sinn fremd ist? Eine Gesellschaft, in der der Mensch mit alldem das ihn umgibt, eine Einheit bildet, und weder anderen Menschen noch Dingen übergeordnet sein kann? In der nicht befohlen, sondern verhandelt wird, weil gar keine Hierarchien existieren?

Und als ob das nicht schon genug Unterschiede wären, spricht er eine Sprache, bzw. ist seine Form der Kommunikation so anders, dass er den einfachen Satz: «Die nächste Bushaltestelle befindet sich dort vorne um die Ecke.» erst mit einiger Anstrengung im Kontext analysieren muss, bevor er sich einigermassen sicher sein kann, dass es tatsächlich um eine Wegbeschreibung geht, und nicht um eine abweisende Erklärung die ihn zum Weitergehen drängen soll, oder  eine seltsame Anspielung auf eine Anekdote die irgendetwas zu bedeuten hat, deren Inhalt er aber nicht versteht.

Für uns ist klar, und unmissverständlich, wenn uns jemand sagt: «Morgen wird es regnen.»; für meinen Freund heisst es das aber überhaupt nicht einfach so. Denn es könnte die Frage beinhalten «hast du das Heu eingebracht?». Oder die Feststellung «morgen bleib ich im Haus» oder «endlich regnet es!» oder «Übermorgen geh ich Pilze sammeln.». Immer muss alles in einen Zusammenhang mit Vorhergesagtem und der Gestik gebracht werden. Wobei die Geste nicht immer für alle sichtbar sein muss. «Morgen regnet es» gesagt, während sanft die Hand gedrückt wird, könnte auch eine Aufforderung zum Stelldichein sein, fester gedrückt zum Kartenspiel, oder mit dem Schliessen der Augen verbunden (sofern nicht eine Hand gedrückt wird), dass man extrem müde ist und den morgigen Tag alleine im Bett liegen und einfach relaxen will.

Mein Glück ist, dass ich meinen Freund sehr gut verstehe. Was letztlich auch der Grund ist weshalb ich überhaupt von ihm berichten kann. Täte ich es nicht, würde wohl einer berichten der es tut. Oder nicht?

Aber weshalb berichte ich? Das ist ganz einfach. Das Gespräch war gestern und heute ist heute. Es regnet also und was soll ich dann draussen? Ich dachte einfach, dass euch das interessieren würde. Wenn nicht, sorry, die nächste Bushaltestelle befindet sich gleich da vorne!