Reisen ins Weltall sind oft recht entspannend. Selbst wenn man wie ich ein Raumschiff hat, für das Raum und Zeit nicht wirklich relevant sind, hat man, gerade im Orbit unbekannter Planeten, viel Zeit.
Die Planeten selber geben meist auch nicht gerade viel her, und bis der Bordcomputer dann die ganzen Gase, Gesteine und sonst wissenschaftlich wertvollen Informationen sensoriert und berechnet hat, hat man viel Zeit zum Nachdenken, oder sonst was. Man kramt unter dem Sitz nach einem bereits hundert Mal gelesenen Donald-Duck-Heft oder sieht sich zum zweitausendsten Mal Tool Time an. Manchmal sitzt man aber auch gespannt vor dem Monitor und verfolgt, was da unten vor sich geht.
Vor etwa zehn Jahren habe ich auf einem kleinen Planeten nahe am Zentrum unserer Galaxie ein damals ultraneues Überwachungssystem installiert. Mir war damals aufgefallen, dass der ganze Planet hauptsächlich von einer Art Ameisenbären bewohnt war, die insektenähnliche Krabbelviecher aus dem Boden lutschten.
Zudem war mir eine kleine Höhle aufgefallen, von der mein Sensor mir versicherte, dass sie ebenfalls Leben enthielte. Ich installierte dort also ebenfalls ein Überwachungssystem und machte mich wieder auf den Weg nach Hause.
Vor einigen Tagen flog ich grad dort vorbei und da kam mir in den Sinn, dass ich da ja überall Sensoren und Kameras installierte hatte. Also machte ich einen kleinen Schlenker und wies den Bordcomputer an, die gespeicherten informationen derSensoren und Kameras abzurufen und mir zusammenzustellen.
Einige Stunden später sass ich vor dem Bildschirm, in der einen Hand eine Tüte Popcorn, in der anderen ein Bier, und das ist, was mir vom Computer vorgeführt wurde:
Takk war alt. Sehr alt. Takk war so alt, dass er sich erinnern konnte, wie vor vielen Generationen das erste Mal eine Flamme die Dunkelheit der Welt erhellte. Seither war viel geschehen. Eine Zivilisation hatte sich entwickelt. Das Volk war gewachsen und hatte angefangen, sich in Dorfstrukturen zu organisieren. Werkzeuge wurden erfunden und erst Hütten, dann Häuser gebaut. Es wurden Nahrungsmittel gepflanzt und Puuoock gezüchtet. Deren Blut konnte man auch zum Malen brauchen, und so wurde gemalt. Neben dem Gelbgrün des Puuock-Blutes kamen der bläuliche Saft der Tgnta-Pilze und das Rot zermahlener Kieselsteine hinzu, die, dank des Feuers, aus der Glut genommen und zerrieben ebenfalls das ihre zur entstehenden Kunst des Malens dazugaben.
Alles in allem waren die Hmmm, wie sich das Volk selber nannte, recht zufrieden. Sie dachten nicht viel über ihr Leben nach und auch die Kunstmalerei begnügte sich im Grossen und Ganzen damit, den Lichtschein der Feuer an den Wänden der Häuser wiederzugeben.
Bis eines Tages das Unglaubliche geschah. Der alte Takk stand mit seiner kleinen Urururururururururur-Enkelin draussen im Garten im Licht der Fackeln und da fragte das Mädchen: «Takk, ihr Erwachsenen sagt, dass die Fackeln die Dunkelheit vertrieben hätten. Woher ist die denn gekommen, die Dunkelheit? Und woraus besteht sie?»
Der Alte glotzte die Kleine entgeistert an. Sowas Sonderbares hatte er ja noch nie gehört!
«Die Dunkelheit war schon immer da, man stellt keine Fragen darüber.» Damit war seine Antwort gegeben und die Kleine scheinbar zufriedengestellt.
Wissenschaft erwacht
War sie aber nicht. Nicht ansatzweise. Der Gedanke daran liess sie nicht mehr los und so begann sie zu forschen. Sie wog die Dunkelheit und das Licht, indem sie je erst eine Büchse bei Licht öffnete und verschloss und wog, und dann dasselbe in der Dunkelheit tat. Aber beide Male war das Gewicht dasselbe. Also forschte sie weiter, und auch wenn sie zu keinem schlüssigen Resultat kam, so machte ihr Wille, mehr zu wissen, doch schnell Schule und andere eiferten ihr nach. Als aus der kleinen Hutho bereits eine Frau geworden war, gab es bereits mehrere Lehrmeinungen zur Welt, zum Licht und der Dunkelheit.
Die gängigste war diese: Das Universum bestand aus einer riesigen, mit einem Deckel verschlossenen Schüssel. Tausend Schritte in jede Richtung konnte man gehen, dann war das Ende des Universums erreicht. Auf der Aussenseite der Schüssel war immer Licht, immer frohes Leben. Diese Welt befand sich auf der Aussenseite des unerreichbaren Deckels der Schüssel.
Hier begannen sich die Lehrmeinungen zu unterscheiden. Die einen behaupteten, dass in der Welt des Lichtes die Toten lebten, die in dieser Welt gut gewesen waren. Andere behaupteten, dass in der Welt des Lichtes ein Volk lebe, welches das Licht nicht mit ihnen teilen wolle und sie deshalb hier in der dunklen Schüssel gefangen hielt. Wieder andere jedoch warnten, dass man gar nicht wissen könne, was da draussen sei, und man weiter forschen müsse. Das Volk war sich zwar nicht in allem einig, doch ein Grossteil fand, dass die Forschung zu nichts tauge und es besser wäre, das Geld ihm zu geben, statt in unnütze Experimente und Maschinen zu investieren. Eine radikale Gruppe befand gar, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingesperrt gehörten, da sie die Wesen des Lichtes mit ihrem Tun erzürnen würden.
Viele Jahre vergingen und Hutho war schon lange „ins Licht“ gegangen. Das Volk hatte nun einen Führer, der die Wissenschaft abgeschafft hatte. Man huldigte nun ihm als Vertreter der „Wesen des Lichts“. Bereits in der Schule lerne man, dass Nachdenken einen krummen Rücken mache und dass Fragen Sünde seien.
Doch wie in allen Welten gab es auch in dieser solche, die aufbegehrten. Einer davon war Gnogg. Er war ein unsteter Geist, der nichts unhinterfragt liess. Stets bedacht, nicht denunziert zu werden, suchte er nach Gleichgesinnten und gemeinsam forschten sie heimlich an den grossen Fragen des Seins. Viele Jahre lebten sie im Untergrund und forschten und sie kamen zu einer Theorie. Die Geschichte der Schüssel sei zu frühen Zeiten von den Wesen des Lichtes selbst an eine Frau verkündet worden, auf dass sie forsche und sie alle den Weg nach „oben“ finden würden. Diese Idee sickerte immer weiter ins Volk, bis sie schliesslich zu einer Religion wurde. Der alte Führer wurde eingekerkert und Gnogg zum neuen Herrscher der Dunkelheit ernannt.
Das Loch
Wieder vergingen viele Jahre. Gnogg förderte die Forschung, es entstanden Schulen und Universitäten, das Gewerbe wurde zur Industrie und immer neue Maschinen wurden erfunden. Mit einer Maschine konnte man sich sogar in die Lüfte erheben. Es dauerte zwei Generationen, bis die Maschine gross genug war, dass sie bis an die Unterseite des Schüsseldeckels gelangen konnte, und noch einmal zwei Generationen, bis sie mit einem Bohrer daran ging, in den Deckel zu bohren.
Es gab viel Diskussion darüber, ob das überhaupt erlaubt sei und ob man damit nicht „die Wesen des Lichts“ erzürnen würde. Die Gnoggisten jedoch beharrten darauf, dass Wissen und Forschung Pflicht sei, und gingen ans Werk. Es mussten viele Maschinen gebaut werden und viele Hmmmm verloren bei diesen Arbeiten das Leben. Um das Volk weiter zu motivieren, erliess Gnogg der Sechste, Grossfürst der Dunkelheit, die Devisen „Dunkelwesen zuerst!“ und „Alle Macht der Dunkelheit!“, „Wir sind das stärkste Volk des Universum – in und um die Schüssel!“. Bald wurden die Zweifler an den Bohrarbeiten schräg angesehen und es dauerte nicht lange, da wurden die Ersten verhaftet. Man bohrte weiter.
Durchstich!
Endlich, und wie durch ein Wunder genau am Geburtstag von Dunkelherrsch Gnogg dem Achten, durchbohrte man den Deckel.
Natürlich war es nur ein kleines Loch, man konnte nicht hindurchsteigen. Also stiess man eine fast dreitausend Schritt lange Stange mit einem Periskop nach oben. Gnogg VIII und seine Wissenschaftler sassen vor dem Projektor und sahen zu. Was sie sahen, begeisterte sie ungemein. Alles war hell da oben. Eine rundes gleissendes Licht verbreitete so viel Licht, wie es hunderttausend Fackeln nicht geschafft hätten. Man sah auch Pflanzen, die den ihren ähnelten, nur dass sie grün statt weiss waren, und man sah auch kleine krabbelnde Wesen, die dumm das Periskop anschauten.
„Die Wesen des Lichtes haben sich zurückgezogen! Die helle Welt gehört uns! Wir sind das grösste Volk des Universums und wir werden diese Welt für uns einnehmen!» So schallte Gnogg VIII aus den Lautsprechern der Dunkelwelt und das ganze Volk war begeistert.
Es dauerte viele Generationen, bis man an den Wänden ihrer Welt grosse Leitern gestellt, und eine riesige Brücke von den Leitern zum Loch gebaut hatte. In der Zwischenzeit hatte man begonnen, das Loch zu vergrössern, damit man dereinst hinaufsteigen könnte.
Auch die Beobachtungen hat man nicht eingestellt und man hat herausgefunden, dass die Welt des Lichts auch eine Welt der Dunkelheit war, und zwar abwechselnd für eine sehr lange Zeit. Auch hat man am Horizont Wesen mit einer langen Schnauze gesehen. Man ging in der Forschung allgemein davon aus, dass die Krabbler und die Rüssler in etwa die Grösse ihrer Puuock hätten und ihnen also bis etwa an die Knie reichten. Jedenfalls schloss man das aus der Grösse der Krabbler, die ab und zu ans Periskop kamen.
Der grosse Tag
Es kam der grosse Tag. Der Herrscher, Gnogg XI, Fürst des Lichtes und der Dunkelheit, Unter- und Überschüssler, stand an der grossen Leiter und breitete die Arme aus: «Volk der Dunkelheit! Bald wirst du ein Volk des Lichtes sein, und nichts und niemand wird uns aufhalten. Vergesst die Nörgler und Verrückten, die uns mit ihrer abartigen Wissenschaft den Tag des Triumphes schlechtreden wollen. Die wollen doch nur selber die Ersten sein, die das Licht sehen. Deshalb reden sie immerzu von Kundschaftermissionen und dergleichen. Ich bin der Herrscher! Habe ich euch nicht bis hierher geführt? Bin ich nicht Gnogg der XI, berufen von der Weisheit des grossen GNOGG? Wir werden jetzt hinaufgehen, und wir werden das gemeinsam tun! Folgt mir!» Und mit diesem letzten Ruf begann er die mittlere Leiter zu ersteigen und auf allen anderen und auf dieser folgte ihm sein Volk.
Nur die Zweifler und Mahner blieben zurück. Das sei keine Forschung, wenn man einfach ein Loch irgendwo reinmache und durchklettere. Das sei Leichtsinn! Niemand hörte sie mehr, denn das Volk strebte dem Licht entgegen.
Als all das Volk der Dunkelheit ans Licht getreten war und blinzelnd in die helle Welt schaute, wurde es eines Geräusches wahr, das es noch nie gehört hatte. Sie blickten zurück und zu dem Loch und sahen hinter dem Loch und dem daraus hochragenden Periskop zwei Rüssler.
Es dauerte nicht lange, bis das gesamte Volk von den beiden Rüsslern weggeschlabbert worden war. Die kleine Zwischenmahlzeit gefiel den beiden und sie vermuteten, dass in dem Loch, aus dem sie gekrabbelt waren, noch mehr waren. Mit ihren scharfen Krallen rissen sie in gewohnter Manier die Erde auf und steckten die Rüssel tief hinein und zogen tief. Doch die ganzen industriellen Bauten, Häuser, Strassenfackeln und Baumaschinen schmeckten ihnen nicht, und so zottelten sie weiter.
Die Überlebenden
In der ehemaligen Welt der Dunkelheit, die dank eines riesigen Lochs in der Decke nun ein Teil der Welt des Lichtes war, regten sich die letzten Überlebenden.
Viele waren es nicht, aber eines war ihnen bewusst: Es war vielleicht anstrengend, mühsam und oft genug auch frustrierend, sich etwas Wissen anzueignen, nachzudenken und die Welt zu verstehen, aber es war immer noch besser, einem Gnogg oder anderen Führer hinterher zu jagen, der ihnen das Licht versprach und die Zweifler und Warner verachten liess. Die Lebenden kamen zusammen und schworen sich, fortan die Fehler der Vergangenheit nicht mehr zu machen.
Vielleicht wäre aus diesen Überlebenden eine neue, bessere Zivilisation geworden, doch leider kam ein dritter Rüssler, dem ein bisschen Beigemenge von Häusern und Baumaschinen zu den kleinen Wesen nichts ausmachte und der sie restlos alle wegschnabulierte.
Ich stellte die leere Bierflasche beiseite und schaltete den Monitor aus. Etwas mitgenommen fragte ich den Bordcomputer: «Wirklich keine überlebenden?»
«Jedenfalls nicht in dieser Höhle», antwortete die Maschine.
Ich habe eine wissenschaftliche Zeichnung des «Rüsslers» angefertigt.
smy, 2019