Über neosozialistische Träume aus der Kulturszene
Es ist wahr, 2020 hat uns getroffen. ArbeiterInnen, UnternehmerInnen, und leider ganz besonders die Selbstständigerwerbenden. Egal ob nun Reinigungsfachkräfte, StörschreinerInnen oder Kulturschaffende, viele von ihnen wurden verdammt hart getroffen und die Massnahmen, die in vielen Kantonen beschlossen wurden, waren im besten Falle unzureichend, meistens eher beleidigend. Bedenkt man, dass Selbstständigerwerbende Monat für Monat alle Sozialabgaben genauso bezahlen wie Arbeitnehmende, dann sind die Entschädigungen einfach ein Hohn. Unter all diesen Menschen, die von der Verwaltungskrise – ich nenne es mal Verwaltungskrise, denn dort wurden ja die Fehler gemacht; das Virus hat sich absolut korrekt verhalten und seine Arbeit genauso gemacht, wie man das von einem Virus erwarten würde – betroffen sind, unter all diesen Verwaltungskrisen-Opfern also waren auch viele Kulturschaffende. Tatsächlich sind es Tausende. Natürlich ist das nur ein Bruchteil der Betroffenen, alleine in den Grossstädten sind gerade Tausende Familien von Reinigungsfachkräften in höchster Not, da ja kaum noch Büros, Restaurants usw. gereinigt werden. Ja natürlich, das ist nicht so schlimm, das sind ja eh nur Frauen, die einen Mann zu Hause haben, der Geld verdient, und abgesehen davon sind das ja Ausländer. Ganz anders natürlich bei den Kulturschaffende. Das sind alles SchweizerInnen.
Nun, wie auch immer. Vor Kurzem wurde ich im Gesichtsbuch mit der seltsamen Forderung behelligt, dass Kulturschaffende eine «Finanzielle Grundsicherung von 4000 Franken für selbständige Künstler und Kulturschaffende» fordern.
Gestützt wird diese Forderung auf die Angabe, dass es in der Schweiz 84’000 selbstständige KünstlerInnen und Kulturschaffende gebe, die von der Krise betroffen seien. Natürlich ist das falsch, und zwar aus mehreren Gründen.
- Auch GrafikerInnen und WebdesignerInnen werden zu dieser Statistik dazugezählt. Ebenso wie zum Beispiel FotografInnen. Die Forderung geht, jedenfalls legt das der Text nahe, davon aus, dass alles MusikerInnen und SchauspielerInnen sind, und das ist falsch.
- Nur ein Teil der selbstständigen Kulturschaffenden ist zu 100% selbstständig erwerbend. Viele arbeiten noch in Teilzeit zum Beispiel als MusiklehrerInnen usw.
Die Forderung nach 4000 Franken wird auch mit dem Argument gestellt, dass Kulturschaffende und KünstlerInnen systemrelevant seien. Das ist nun natürlich tatsächlich kompletter Unsinn. Kunst und Kultur sind systemrelevant, aber nicht die, die sie ausführen und anbieten. Kunst hat es schon immer gegeben. Seit vor 40’000 Jahren Frankreichs Höhlen mit Grafittis besprayt worden sind, hat das nicht mehr aufgehört. Kunst und Kultur gehören ebenso zum Menschen wie Gewalttätigkeit und Fremdenfeindlichkeit. Im einen Umfeld gedeiht dieses, im anderen jenes.
Wer nicht in der Geschichte eingehen will, sollte sich warm anziehen! Was haben wir gut gelebt die letzten Jahre, nicht wahr? Wurden nicht Abermillionen in die Kultur gesteckt? Gab es nicht mehr Kulturfördermittel als je zuvor in der Menschheitsgeschichte? Milliarden Franken wurden nur schon mit Kunst umgesetzt. Alles war gut und alles war schön. Zwischendurch jammerten und rebellierten wir ein bisschen, weil man irgendwo Fördergelder streichen wollte. Meist demonstrierten wir natürlich nicht selber, das überliessen wir den Kulturkonsumentinnen und -konsumenten. Auch in die Politik mochten wir uns nicht einmischen. Immerhin sind wir klug genug, um zu erkennen, dass die wirklich scheissviel Arbeit macht.
Ja, es ging uns gut. Und dann kam Corona. Kamen die Entscheide vom Bundesrat und von den Kantonsregierungen. Kam die Angst.
Ist echt blöd gelaufen. Und das mein ich ernst. Die Härte, mit der viele getroffen worden sind, ist brutal. Betriebe, die schliessen mussten, Tausende von Veranstaltungen, die abgesagt worden sind, Tausende Konzerte, die nicht stattfanden. All das geschah. Tatsache.
Aaaber! Aber rechtfertigt das eine pauschale monatliche Alimentierung von Kulturschaffenden mit einem Grundeinkommen von 4000 Franken? Könnten wir da noch anderen Leuten in die Augen schauen, die gerade auf das Existenzminimum gesetzt worden sind und damit eine dreiköpfige Familie durchbringen müssen? Ja, ich weiss, einige könnten das ohne Probleme. Immerhin fühlt man sich systemrelevant. Putzen kann man im Notfall auch selber, aber Kunst machen nicht. Naja.
Wer sich für ein Leben als MusikerIn entscheidet, weiss, worauf er oder sie sich einlässt. Niemand hat je von einem Oboisten gehört, der, nachdem er von der Hochschule kam, in Saus und Braus lebte, oder? KabarettistInnen? Alle stinkereich und leben wie absolut alle SchauspielerInnen in Prachtvillen in Zürich. Auch ChorsängerInnen sind meist so reich, dass sie sich manchmal sogar einen oder zwei Bankchefs als Hausangestellte leisten können. Und verdammt will ich sein, Kino-Filmvorführer! Es ist einfach unglaublich und unerhört, in was für einer Pracht die alle leben. Unverschämt! Letztens sah ich einen Fotografen, ich glaub, es war, als ich in den Spiegel schaute, der war so stinkreich, ich sags euch, seine ganzen Beine gehen bis zum Boden. Bis zum Boden!!
Also. Man kann sich stark machen für bessere und vor allem schnellere Bezahlung von Corona-Hilfen. Einverstanden.
Man kann eine fairere Verteilung der Corona-Hilfen fordern. Einverstanden.
Man kann kann geltend machen, dass man als Selbstständigerwerbende/r seit Jahren Geld einbezahlt hat und nun etwas davon sehen will. Einverstanden.
Ja, ich bin sogar der Meinung, dass man Bundesrat, Parlament und Kantonsregierungen für ihr zögerliches, oft wohl einfach inkompetentes Verhalten tadelt, und da bin ich sogar der Meinung, dass auch mal ein Wort wie «du dummer Esel» oder so fallen darf. Ja doch. Schon.
Aber ein generelles Grundeinkommen von 4000 Franken für selbstständigerwerbende KünstlerInnen und Kulturschaffende? Nein. Wieso soll ich mehr verdienen als vor der Krise, und dann noch so viel mehr als eine Reinigungsfachfrau, die 10 Stunden am Tag arbeitet, um auf den Mindestlohn von 3900 Franken zu kommen?
Wer sich als Kulturschaffende/r versteht, tut dies, wie dargelegt, aus freien Stücken. Es ist das Mindeste, was man erwarten kann, dass man auf eigenen Beinen stehen kann und nicht vom Tropf der Steuerzahlenden leben will. Geht das schief, dann hat man Pech gehabt. Die Welt ist schlecht und scheisst auf die Kunst. Das war schon immer so und wird wohl auch immer so bleiben. Sie scheisst auch auf die Putzfrau und den Strassenkehrer (Klischeebilder). Sie scheisst auf uns alle, und das zu Recht, denn wir scheissen ja auch auf sie. Also. Da wird etwas verlangt, was selbst der Realsozialismus der DDR nicht zustande brachte. Wieso sollte es jetzt funktionieren?
Das Gejammer der Lämmer ist peinlich. Es ist zum Fremdschämen. Ich auf jeden Fall, ich habe genug Wuthaben gespart, um noch hundert Jahre Satire zu machen, Kunst, Kultur und worauf ich Lust habe. Ich kann das selbst dann noch, wenn ich irgendeinen Job annehmen müsste, um zu überleben, und brauche mich nicht aus den Steuergeldern von Reinigungsfachkräften, Pflegefachkräften oder überhaupt der arbeitenden Bevölkerung bezahlen lassen.