Soldaten im Haus

Im Rhin, Münster, Drei Könige, im Jänner 1848

Meine liebe Johanna

Was bin ich froh, dass Du eine Arbeit in Sitten gefunden hast! Hier in Münster geht alles darunter und darüber. Nachdem der General Salis am 19. November mit unseren Truppen den Bürzel eingezogen hat und nach Gisikon ging, lag euses Meuschter von einem Tag auf den anderen ohne Schutz. Zwei Tage später waren die Freischaren hier. Mehr als viertausend Mann kamen nach Meuschter und wollten hier Quartier. Da wurden all diese Soldaten hier und da einquartiert. Oben im Stift in jeder Kammer und auch überall im Fläcken.

Ich hatte ja solche Angst. Du weisst ja, dass mein Töchterlein am Typhus krank daliegt. Und so hatte ich Schrecken, dass man sie in die kalte Kammer im Dach oben verlegen würde und die Soldaten die warme Stube nähmen.

Doch stell Dir vor, es kam keiner. Der Morgen verging und der Mittag kam, und keine Soldaten in der Löffelburg. Dann kam der Nachmittag und überall sah ich die Soldaten in die Häuser gehen. Drüben beim Dangel und beim Dolder und sogar beim alten Ignaz drüben. Aber keiner kam zu uns. Die Löffelburg war ganz vergessen worden!

Am Abend machte ich uns eine Suppe. Die fiel so karg aus, dass mir die Tränen kamen, als ich sie dem Vreneli ans Bett brachte. Aber wir hatten schon lange kaum noch Essen im Haus. Erst waren es die Soldaten des Sonderbunds und danach die Berner, Aargauer und Zürcher, die uns alles wegfrassen. Immer diese Kriegerei überall, man könnte fast des Glaubens sein, dass es auf dem Feld und in der Werkstatt keine Arbeit gäbe!

Ich hatte mich gerade hingesetzt, um selber auch von der Suppe zu essen, da polterte es unten an der Türe. Da standen drei Aargauer Soldaten und baten mich wirklich sehr freundlich, ob sie hier nicht übernachten dürften. Ich habe ihnen gesagt, dass ich eine typhuskranke Tochter im Haus hätte und sonst alleine sei. Denen war das kranke Vreneli egal. Sie sagten, sie würden zwangseinquartiert, aber da lägen schon vierzig Mann, und es sei ihnen Graus und Angst, dass sie sich dort mit etwas anstecken könnten. Dann noch lieber das liebe Meitschi mit Typhus, da wisse man, was man habe. Die sahen hundemüde aus und so bat ich sie halt herein. Lieber freiwillig geben als gezwungen werden, gell?

Und stell dir vor, am Morgen sind die dann tatsächlich gegangen und haben sich auch noch für das Nachtlager bedankt.

Aber das Wunder, liebe Johanna, das Wunder kam vor drei Tagen, just nach Neujahr. Da brachte mir ein Briefbote ein Paket aus Aarau. Von der Metzgerei Siebenmann! Und darin waren ein Dutzend Würste und die Nachricht, dass man sich herzlich bedanken wolle für die Unterbringung in der Not des Krieges.

Soldaten sind halt auch als in Uniform wie im Leben, sie sind guten oder schlechten Charakters.

Zehn Tage blieben die Soldaten im Dorf und es zeigte sich, dass nicht alle so waren wie die drei, die bei uns untergekommen sind. Manch einer aus Meuschter wurde geschlagen und drangsaliert und einige gar verhaftet. Als sie dann endlich weg waren und einige Tage darauf der Krieg vorbei war, unsere Männer wieder ins Dorf kamen und man ans Aufräumen ging, da fragte sich manch einer, ob das alles denn nun den Aufwand wert war. Jetzt haben sie ihre Eidgenossenschaft gemacht und Frieden gefunden und dann geht man blutig aufeinander, nur um einen Monat später wieder da zu stehen, wo man vorher war.

Leg doch bitte einige Zeitungen zur Seite und nimm sie mir mit. Gerne würde ich wissen, wie im Wallis von diesem Händel geschrieben wurde.

Wir freuen uns, wenn Du in der Fasnachtswoche wieder zu uns kommst, und ich werde Dir die schöne Kammer herrichten und etwas von der Aarauer Wurst zur Seite legen.

Ich küsse Dich, liebe Schwester, und wünsche Dir glückliche Tage!


[Anm.: Die Begebenheit, welche die Frau Näf, «des Naglerbalzen Witwe», erzählt, ist in dem Aufsatz «Aus der Sonderbundzeit» von Can. Ignaz Kronenberg kurz erwähnt.]

Die Metzgerei Siebenmann in Aarau gab es tatsächlich.

Der Sonderbundskrieg dauerte vom 7. bis 29. November 1847.

Bild: «Schlacht bei Gislikon [Gisikon] den 23ten November 1847»,  Comp. v. H. Jenny; auf Stein gez. v. Schönfeld, Zentralbibliothek Zürich

© Simon Meyer, 2019