The shopping war

Badehose und der Kampf ums Überleben

Gesundheit ist neben gutem Essen und Trinken etwas vom Wichtigsten im Leben. Für meinen langsam raumgreifenden Ranzen muss also etwas in Sachen Bewegung getan werden. Da Sport aus politischen, religiösen, ethischen und kulturellen Gründen für mich nicht infrage kommt – hauptsächlich aber, weil ich ein fauler Sack bin –, kommt für mich eigentlich nur der Besuch im Freudenhaus oder in einer öffentlichen Badeanstalt infrage. Freudenhaus kommt aus denselben Gründen nicht infrage wie Sport, also bleibt nur das Wasser.

Wasser ist schön. Es ist nett und umschmeichelt mich. Wasser bietet auch Gelegenheit, sich unangestrengt zu bewegen. Das ist auch gut und sehr nett vom Wasser.

Leider besitze ich seit Längerem keine Badehose mehr und möchte ein öffentliches Ärgernis von vorneherein ausschliessen. Also ab ins Sportgeschäft. Da ich grad noch andere Dinge brauche, sieht es so aus, als ob ich mich in die Höhle des Löwen, in den Dschungel, Ho-Chi-Minh-Pfad, kurz: eine supergefährliche Mission wagen müsste – das Shopping Center Emmen.

 

Das 1975 erbaute Gebäude hat trotz vieler Renovationen und Veränderungen noch immer den Mief, den ich aus meiner Jugend kenne. Es riecht nach Einkaufszentrum, nach Blutdurst, Neid und Parfum.

Die Zeit ist denkbar schlecht für die Jagd nach Badehosen. Weil ein Auftrag etwas länger gedauert hat, kam ich erst gegen Mittag dort an. Tausende hungriger, schwitzender, pubertierender und nach den schrecklichsten Deodorants stinkende Teenager. Die Männchen sammeln sich in kleinen Jagdmeuten um die Weibchen, die sich zu kleinen Gruppen zusammengerottet haben und dort durch laute kreischende Lachgeräusche ein grosses lautes und offensichtlich unangenehmes Tier imitieren. Gleichzeitig rasen ihre Finger über ihre Smartphones, um den ihnen bekannten männlichen Jungtieren digitale Nachrichten zu senden, die sie von einem Angriff auf das weibliche Rudel ablenken sollen.

Immerhin, diese Gruppen sind nur nervig und stehen allenthalben im Weg herum. Sie sind aber keine Gefahr für mich. Die Gefahr kommt in dem Moment, als ich per Rolltreppe in die obere Etage will. Zwei kinderwagenschiebende ältere Frauen mit ums Gesicht geschlungenen weissen Freisprechanlagenkabeln und Kriegsbemalung schieben sich, erst parallel mit mir, dann mich überholend und letztlich einkesselnd, die Kinderwagen wie Panzer vor meine Füsse, um dann just vor der Rolltreppe stehen zu bleiben und in kreischendem Singsang über irgendetwas zu lamentieren, das ich nicht verstehen kann.

Statt mich sofort aus dem Staub zu machen, verweilte ich leider einige Sekunden in der natürlich vergeblichen Hoffnung, mich irgendwie an den beiden mich böse angrinsenden Raubtieren vorbeischleichen zu können. Doch bereits hatte sich ein älteres Pärchen von hinten angeschlichen und rammte mir nun mit einem Rollator-Einkaufswagen-Sitzgelegenheitsmutanten in die Achillesferse. Ich machte einen Ausfallschritt auf die vor mir stehenden inzwischen knurrenden Weibchen zu, blieb dann abrupt stehen und hechtete nach links weg, wo ich mich mit einer eleganten Rolle unter einer «Frisches Brot vom Bäcker»-Wagen versteckte, um die Lage neu zu sondieren.

 

Die Rolltreppe

Die Rolltreppe kam nicht infrage, da sich dort nun vor, darauf und auch oben ganze Gruppen angesammelt hatten, die nur darauf warteten, dass ein armes Opfer «von ausserhalb», ein in Unkenntnis über die Gefahren dieses Dschungels sich Befindender, den Weg über die Rolltreppe nehmen möchte.

Also nahm ich den Weg, den ich schon von Anfang an hätte nehmen sollen – die Treppe. Dort gab es keine Alten, keine Mütter mit Kinderwagen, keine fleischfressenden Rollatoren. Ungefährlich war sie indes trotzdem nicht. An ihrem Fusse warteten die «Darf ich Sie etwas fragen». Die «Darf ich Sie etwas fragen» sind, obwohl immer als zwei Individuen scheinend, doch nur ein Organismus.  Diese Spezies wird meist in den Industriegebieten grösserer Städte in ehemaligen Gewerberäumen gezüchtet, die zur Tarnung mit «Evangelische Kirche des Dritten Reiches Gottes» und ähnlichem Unfug beschriftet sind.

An den Treppen stehen sie dann, diese mit blauen Röcken und weissen Strumpfbeinkleidern ausgestatteten, stets über vierzig Jahre alten Damen mit ihren wie Buchhalter aussehenden männlichen Begleitern, und verkünden das Wort Gottes – das von Jehova und das von Jesus Christus, dem Erlöser, wenn die Dame auch ein Kopftuch trug, das von Allah, oder das von Gott dem Allmächtigen. Sie stecken dir dann den Wachturm, die katholische Bibel, das Buch Mormon, den Koran, die evangelische Bibel oder eine Broschüre der Erweckergemeinde entgegen.

Und so war es auch dieses Mal. Ihr Äusseres verriet mir sofort, dass es sich um diese Koran-Verkäufer handelte, die seit einigen Jahren sogar die Scientologen von ihren angestammten «kommherichwilldichnerven»-Plätzen zu vertreiben vermochten. Na immerhin keine Wight Watchers! Ich ging also aufrechten Ganges auf die Herren zu und grüsste schon von Weitem mit «Schalom, meine Freunde, lasst uns über unsere gemeinsame Wurzel sprechen!».

Das langte schon und die beiden wendeten sich angewidert ab und suchten das Weite.

Erstes Hindernis überwunden. Auf der Treppe musste ich mich nur mit der mir angeborenen Arroganz eines Alphamännchens durch das stumpfsinnig vor sich hin äsende Sekretärinnen-Rudel pflügen. Es nützte, und nicht eine biss mir in die Wade und auch am oberen Ende, wo die ganzen Handy- und Schickimickihemden-Verkäufer aus ihren Plastiknäpfen frassen und den Weg zu versperren suchten, kam ich mit einem gerüttelt Mass an verachtungstriefender Brutalität unbeschadet durch.

 

Das Sportgeschäft

Zugegeben, die Gefahr dort war weit geringer als in den Vorhallen dieser Konsumhölle, und ging hier nicht von kohlenstoffbasierten Lebewesen aus als vielmehr von einem akustischen, das Hirn in eine breiige Masse verwandelnden Gewimmer. Der Feind machte sich über allerorts versteckten Lautsprechern bemerkbar und nannte sich Radio Pilatus. Das Geseiere und krächzende Gewinsel, das dort aus diesen Qualboxen sickerte und sich zwischen den Regalen von Turnschuhen, Hanteln und Trainingsanzügen wie ein zäher Schleim festsetzte, verlangte mir alles ab. Es ist mir ein Rätsel, weshalb diese euphemistisch als Musik bezeichneten Geräusche noch nicht unter Strafe gestellt wurden und weshalb es noch keine Lobby gibt, die – ähnlich wie die schiesswütigen Walliser und Bündner den Wolf – sich Radiomoderatorinnen und -moderatoren in Regionalsendern vors Korn nehmen. Noch besser wäre es wohl allerdings, man könnte dem Übel gleich an der Quelle Einhalt gebieten und in Tonstudios, in denen diese inhaltslosen, warmen Plüschgeräusche produziert werden, Türsteher von den Taliban postieren. Aber das nur als Idee. Sie muss nicht umgesetzt, dürfte aber wenigstens in Erwägung gezogen werden.

Wie dem auch sei. Ich machte einen Hechtsprung zu den Fitnessgeräten, rollte mich ab, sprintete nach links zu den Regalen mit Sportbekleidung und robbte mich so schnell ich konnte zum Wassersport. Das geschulte Jägerauge erfasste blitzschnell Farben und Grössen, sodass noch im Sprung die Rechte vorschnellen, sich ein Teil schnappen und ich mich mit einem Salto rückwärts über das Regal mit den Nordic-Walking-Stöcken zur Kasse flüchten konnte. Der Preis war noch in der Bewegung abgelesen und das Geld aus der Hosentasche gefischt. An der Kasse bereute ich ganz kurz, dass ich mich auf einen schnellen Abgang festgelegt hatte, denn die Verkäuferin war von überaus angenehmem Wesen und ihr Äusseres geradezu bezaubernd. Dennoch, die Devise im Krieg heisst: Lass dich nicht aufhalten!

Mein Rückzug aus dieser Gefahrenzone war ebenso schnell wie erfolgreich. Ohne angegriffen zu werden, ja selbst ohne Anpöbelungen, kam ich wieder nach draussen, wo mich wieder der Wahnsinn einer inzwischen mit dem Duft nach Kaffee und heissen Käsebroten und ebenfalls durch hässliches Gesinge geschwängerten Luft empfing.

Nun hiess es noch den Risottoreis zu kaufen, und dies war, verglichen mit dem Spaziergang durch das Sportgeschäft, wahrlich mit einem Einsatz in den Kriegsgebieten Südostasiens zu vergleichen. Es galt also nicht nur dem im Hinterhalt lauernden Feind, sondern auch den Tretminen geschickt auszuweichen.

Erst einmal musste ich jedoch wieder ins Erdgeschoss kommen, also stürzte ich mich einfach über die Brüstung und kam sechs Meter weiter unten auf dem Baldachin eines Weindegustationswagens auf. Der dicke Franzose, der dort seinen Vin Rouge an Mann und Frau bringen wollte, fing meinen Sturz wunderbar auf und kam hernach gerade so lange nicht zu sich, wie ich brauchte, um im Zickzackkurs durch herumtratschende Frauengruppen in Richtung Lebensmittelgeschäft zu sprinten.

 

Feinkostgeschäft

Die erste Feindberührung machte ich genau in dem Moment, als ich dort eintrat. Die mit Tablett und irgendwelchen Fressmüsterchen bewaffnete blonde Mittfünfzigerin richtete ihren blutrünstigen Blick auf mich, legte ihre toupierte Mähne nach hinten und machte zwei Schritte auf mich zu. Ein Fehler! Noch ehe sie mich anquatschen konnte, hatte ich sie schon in den Wagen mit dem Biobroccoli gestossen und mit ein paar Stangen Lauch zugedeckt. Weiter ging es an der Käsetheke vorbei, vor der ebenfalls bereits der Feind lauerte. Nun bin ich gewiss kein Verächter von Käse, im Gegenteil. Allein der Gedanke, dass dieses gelbe schwitzende Zeug bei Dutzenden von Kundengesprächen dem Gespucke dieser Person ausgesetzt war, liess einen würgenden Laut aus meiner Brust dringen. Ich hechtete links an ihr vorbei, rollte neben dem Regal mit den Frischkäsen ab und hechtete ein Regal weiter, wo ich wieder aufzustehen versuchte. Zu spät! Der Feind hatte mich doch noch erwischt. Die junge Italienerin lächelte mich mit einem «Salami?» an und ihre Augen leuchteten wie die Lagunen mit den heissen Quellen vor Ischia. «Ich liebe dich, wirklich, ich wollte, du würdest die Mutter meiner Kinder. Dein Anblick lässt meine Lenden brennen und deine Stimme zerreisst mir das Herz. Allein, ich muss weiter. Der Pfad des Krieges führte mich zu dir, nun führt er mich wieder weg. Lebe wohl!», rief ich noch, als ich mich bereits über die Regale mit Ölen und Essigen in Richtung Reis flüchtete. Ich sah noch, wie sie weinend zusammenbrach, dann brach auch das Regal unter mir und einmal mehr rettete mich das weiche Fleisch einer konsumwunschgesteuerten Lebensform. Ich rollte mich von der jammernden Dame runter, half ihr hoch, drückte ihr die Einkaufstasche in die Hand und hechtete ein Regal weiter, wo ich endlich den gewünschten Reis fand. Schon hörte ich das Trillern der Polizeipfeifen und das Kläffen von Bluthunden. Ich zückte mein Geld aus der Hosentasche und rannte wie noch selten in meinem Leben zur Kasse. Der pickelige junge Kerl, der mich dort mit leerem Blick empfing, plingplingte meinen Reis über den Sensor, empfing mein Geld mit einem Ekel, der sich mir bis heute nicht erklärt, und schaute ohne ein Wort zu sagen geradeaus ins Nichts, seiner an einer Shopping-Center-Kasse endenden Karriere als fast denkendes Wesen entgegen.

 

Rückzug und Überleben

Für den strategischen Rückzug in Richtung Garagendeck und meinem Wagen werde ich keine Orden erhalten. Das ist unfair, denn der Feind war in der Überzahl und der kämpfte ruchlos und ohne Ehre. Nebst angefressenen BigMacs warfen sie mit Gemüse nach mir, ich wurde über die Lautsprecheranlage nicht nur gewarnt, stehen zu bleiben, sondern auch mit dem Gejaule von Elton John angegriffen, und über den olfaktorischen Angriff von einer nach der anderen folgenden Schwade von Parfumgestank will ich gar nichts sagen.

 

Nun, ich habe es geschafft, bin entronnen und lebe noch. Mögen Mars und Teutates meinen Dank wohlwollend entgegennehmen! Endlich zu Hause bei meinem geliebten Eheweib, das mir mit der seinem genetisch oder von gutem Herzen herrührenden Liebe die Wunden verpflasterte.

 

Aber ich muss es zugeben: All das ist noch gar nicht geschehen. Es wird noch. Morgen. Ich weiss, dass es sich nur im allerbesten Falle so abspielen wird. Die Gefahren, die dort lauern, sind unbeschreiblich. Sie sind grauenerregend und nur von Frauen und – wenn überhaupt von männlichen Hominiden – nur von in Hormonen badenden pubertierenden Typen zu überstehen, die mit ihren Gedanken einzig und alleine bei ihrem Gemächt sind und bei der Dame oder den Damen, die sie in den zweifelhaften Genuss ebenjenes kommen lassen wollen.

Und so liegt der Gedanke nahe, dass es vielleicht besser wäre, ich würde zu Hause bleiben. In Sicherheit. Geborgen. Wen kümmert mein Ranzen, meine Fitness? Wozu Badehose, wenn Badewanne auch geht?

 

Ach, ich weiss nicht. Vielleicht, wenn ich mich mit allem Mut bewaffne, könnte es gelingen?

Denkt an mich, sollte ich nicht zurückkehren!