Wenn sie Nachrichten hinrichten

Über dröges Geleiere und das sanfte Rauschen der Wellen

MAN SOLLTE ES NICHT TUN. Jedenfalls nicht, wenn man noch ganz bei Trost ist. Kritik an den Nachrichtensendungen des Schweizer Fernsehens dürfen nur und ausschliesslich die Rechten üben, die ganz Linken, die Coronaleugner oder andere Spinner. Kein normaler Bürger, keine normale Bürgerin sollte das tun. Der Shitstorm ist unausweichlich und immer gnadenlos. Denn es gilt: Auch wenn etwas wirklich übel ist – es ist helvetisches Übel und es bedeutet Freiheit und Demokratie! Ich tu es trotzdem.

 

Einst, zu einer Zeit, als Nachrichten noch wichtig, weil sie meinungsbildend und wissenserweiternd waren, und, auch wenn schon drei Tage alt, noch immer als «News» galten, als das Wort Fake News noch nicht erfunden und der Faktencheck zum Alltag von Journalistinnen und Journalisten gehörte, zu jener Zeit also sprach am Fernsehen der Herr der Nachrichten: Léon Huber. Ja, zugegeben, viele meiner Generation hassten ihn. Er war ein unanfechtbarer Gigant der Information und er vertrat alles, was wir hassten: Büenzlitum, Manchesterhose, Krawatte, und ganz grundsätzlich den Staat an und für sich. Niemals aber, nicht eine einzige Sekunde lang, hätte ich an Léon Huber gezweifelt, hätte eine einzige Nachricht von ihm hinterfragt. Was er sagte, war Wahrheit. Während wir uns bekifft und besoffen irgendwas von GBH reindröhnten, informierte er uns, auf dem kleinen Schwarzweissfernseher, der in der Ecke stand und tag und nacht sein helles rauschen abgab und geisterhafte Bilder zeigte (er war seit Jahren kaputt) darüber, dass die ollen Briten die Falklandinseln besetzten. Wir hassten Briten fast noch mehr als Huber und also zogen wir, in logischer Folgerung und unter Umgehung des Verstandes, in die kalte Aprilnacht hinaus, um in Luzern die Wände mit «IRA» zu besprayen.

Zu diesem Tagesschau-Urgestein gesellten sich andere Nachrichtensprecher, Menschen, die diese Bezeichnung noch verdienten. Erich Gysling, Heinrich Müller etwa oder Charles Clerc. Ja, zugegeben: Männer. Aber Männer, die sich in den Dienst der Sache stellten, und nicht wie diese Nachrichtensprechersurrogate von heute in telemasturbativer Art und Weise ihr Ego wie einen Phallus impudicus in die Welt verteilen.

Die HAUPTAUSGABE DER TAGESSCHAU DES SCHWEIZER FERNSEHENS WAR EINE INSTITUTION. Heute ist es nur noch schlechte Gewohnheit, die man sich längst abgewöhnen wollte und sollte. Denn aus der einstigen Informationssendung ist Infotainment geworden. Ein Fastwäreichetwaswasdichinformiert.

Schuld an diesem Niedergang ist die Moderatorinnen- und Moderatoren-Klonarmee des SRF-Imperiums, die dem schnellen, einfachen Weg, also der dunklen Seite der Macht, Einzug in das robotergefilmte Studio gewährte. Darunter sind Egos, die sich so aufblähen, dass alles, was da rauskommt, abgestandene, übelriechende Lüfte sind.

Auf dem 1. Platz der Schwafler des Landes: Florian Inhauser. Der arme Mann weiss auch nach Jahren noch nicht, dass Information, die am Fernsehen gesprochen wird, verständlich und mit Fokus auf die Information und NICHT auf das eigene geistige Pimmelchen vorgetragen werden sollte. Schachtelsätze, so sehr ich sie liebe, sind nichts für Nachrichten. Sie entfalten ihre verwirrende Schönheit nur in schriftlicher Form. Er begreift nicht, dass die Tagesschau nicht Glanz und Gloria, 10vor10 oder eine andere Boulevard-Sendung ist, sondern eigentlich eine ernste und wichtige Institution. Das traurige pseudoeloquente Geschwurbel dieses affigen Gelackten ist derart unerträglich, dass ich froh bin, Nachrichten nicht mehr live sehen zu müssen.

2. Platz (damit auch eine Frau zum Zuge kommt): Andrea Vetsch. Keine Nachricht zu ernst, als dass dieses geistig dislozierte Dauerlächeln sie nicht dümmlich grinsend vortragen könnte. Was in anderen Ländern gut wäre, eine Modesendung zu moderieren oder über vermisste Hunde und Katzen zu berichten, darf in der Schweiz grinsend über jede Katastrophe berichten die Individuen, ganze Völker oder die Erde an und für sich, ereilen können. Sie verkörpert, ausser dem Augenbrauen-Florian, wie wenig ihnen das Publikum oder die Ernsthaftigkeit des Journalistischen Berufes etwas bedeuten. Hautsache News, hauptsache Publikumsgerecht vorgekauter, mental verkümmerter, süsser Einheitsbrei.

TRAURIG, JA TRAURIG IST ES, dass die Einschaltquoten des Tagesschau-Publikums diesem ganzen Unsinn noch recht geben. Die Strategie «Dümmlich ist besser» geht also auf und erfreut das stets alternde und offensichtlich zunehmend debile Publikum.

Die Zeit, in der man sich vor dem Film oder der Dokumentarsendung noch die Tagesschau ansah, geht also ihrem Ende entgegen.

In einigen Jahren werden wir uns glücklicherweise einen Avatar von Léon Huber, Gysling oder Müller basteln können, dem Original täuschend echt, Tausende ihrer Tagesschau-Sendungen zum Vorbild nehmend und wenigstens von einer künstlichen Intelligenz gesteuert, wenn schon keine natürliche mehr im Studio zu finden ist. Sie werden uns richtige Nachrichten vorlesen. Egofrei und ohne Schnickschnack, dafür vertrauenswürdig, denn ein Avatar von Léon Huber hat noch immer mehr echte Persönlichkeit und Integrität als eine Fetsch oder der Grosschwurbler von Leutschenbach F. Inhauser jemals haben werden.

Bis dahin bleibt nichts anderes, als sich diese Nachrichten zum Beispiel bei unabhängigen Online-Medien wie etwa der Republik zu holen.

Oder statt die Nachrichten im Schweizer Fernsehen zu schauen, diese im Radio anzuhören, oder, als Superalternative, eine Kassette mit dem sanften Rauschen von Wellen einzulegen und zu dösen.

 

Und nein, ich werde mich ganz sicher nicht zu 10vor10 äussern. Der Alkohol im Haus reicht bei Weitem nicht aus, um mich derart zu betrinken, um Worte für diesen Mumpitz zu finden.

 

 

 

 

©Simon Meyer, 2021